BGH-Urteil: Kündigen alter Bausparverträge erlaubt STADTGEPLAUDER | 12.03.2017

Drei Prozent Zinsen – was sich für Sparer in Nullzinszeiten paradiesisch anhört, ist für Bausparkassen ein Albtraum. Mit immer neuen Tricks versuchen die Kassen daher, ihr Geschäftsmodell zu retten: Sie verlangen Gebühren oder drängen Sparer aus ihren lukrativen Verträgen. Während Verbraucherschützer zum Widerspruch gegen zusätzliche Kosten aufrufen, ist die Kündigung von Altverträgen laut einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) rechtens. Doch nicht in jedem Fall ist das letzte Wort gesprochen.

Der Brief, der an diesem Morgen in einem Reihenhaus in Freiburg-Hochdorf in den Briefkasten flattert, ist einer von rund 260.000, die die Bausparkassen in den vergangenen Monaten abgeschickt haben. „Vermutlich haben sie die Ihnen aus dem Bausparvertrag zustehenden Rechte in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren“, heißt es in dem Schreiben der Debeka Bausparkasse.

Bausparen

Geld oder Haus? Viele Bausparer nutzen ihre hochverzinsten Verträge lieber als Geldanlage statt für ein Immobiliendarlehen – dem hat der BGH jetzt einen Riegel vorgeschoben.

Mitnichten. Der Adressat des Schreibens hat sich vor gut einem Jahr ein Eigenheim gekauft – und seine beiden Verträge dafür ganz bewusst außen vor gelassen. 1,7 Prozent Tilgungszinsen standen 3 Prozent Bausparzinsen gegenüber. Da ist die Entscheidung nicht schwergefallen.
Doch nun droht die Bausparkasse, den Vertrag aufzulösen: „Nach Ablauf von zehn Jahren seit erstmaliger Erlangung der Zuteilungsreife“ sei die Bausparkasse dazu berechtigt. Was in dem Schreiben von Anfang Februar dem Bausparer gegenüber bereits als Fakt präsentiert wird, bestätigte das BGH erst am 21. Februar offiziell. Zwei Frauen mit Wüstenrot-Verträgen hatten geklagt, weil ihnen die Bausparkasse gekündigt hatte: Einer der Verträge war bereits seit 1993 zuteilungsreif, doch die Klägerin ließ ihn weiterlaufen, ohne ein Darlehen in Anspruch zu nehmen. Die Karlsruher Richter gaben der Kasse recht: Sinn der Bausparidee sei es nicht, alte Verträge als reine Geldanlage zu nutzen, indem man sie jahrelang weiterlaufen lasse. Nach einer Schonfrist von zehn Jahren dürfen die Kassen ihren Kunden daher kündigen.

Das Urteil wird vermutlich eine zweite Welle von Kündigungen lostreten. „Die Bausparkassen wähnen sich nun in Rechtssicherheit“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Doch was ist, wenn Kunden nachweisen können, dass ihnen der Vertrag als Anlageprodukt verkauft wurde? Wenn etwa die Großeltern einen Vertrag für den Enkel abgeschlossen haben, der an seinem zwölften Geburtstag zuteilungsreif wurde – ein Alter, in dem ein Immobilienkauf unmöglich ist?

Zudem gebe es Werbematerial von BHW oder Wüstenrot, das darauf abziele, Bausparverträge gezielt als Geldanlage zu verkaufen. Mehr als hundert Fälle sind noch beim BGH anhängig. Nauhauser hofft, dass einige Kläger am Ball bleiben: „Ich will nicht ausschließen, dass wir noch in diesem Jahr ein anderes Urteil hören.“ Zudem haben auch viele Bausparer, deren Verträge noch gar nicht zuteilungsreif sind, seit Jahresbeginn Post bekommen: So hat die Debeka ihren mehr als 800.000 Kunden mitgeteilt, dass sie rückwirkend zum 1. Januar eine „Servicegebühr“ zahlen sollen. Je nach Tarif werden 12 oder 24 Euro fällig. Die Mitteilung landete nicht als einzelne Sendung bei den Bausparern, sondern – leicht zu übersehen – zusammen mit einem ganzen Packen von Unterlagen. Dabei ist für die Sparer schnelles Handeln angesagt: Sie können den nachträglichen Änderungen der Geschäftsbedingungen nur innerhalb von zwei Monaten widersprechen. Ein Musterschreiben dafür gibt es etwa bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Dort sieht man es besonders widersprüchlich, dass für die einzelnen Tarife unterschiedlich hohe Gebühren verlangt werden: Warum solle die Verwaltung eines Tarifes mit höheren Guthabenzinsen teurer sein als die Verwaltung anderer Tarife? Das aktuelle Urteil lasse das Entgelt zudem „noch absurder erscheinen“, so Nauhauser. Solange kein Darlehen beantragt wird, hat das BGH den Kassen die Rolle des Kreditnehmers zugeteilt – der nun von seinem Kreditgeber eine Servicegebühr fordert: „Das ist, als würde ein Kunde seiner Bank schreiben und von ihr eine Gebühr verlangen.“

Die Debeka ist nicht die einzige Bausparkasse, die das versucht. Zahlreiche Kassen, etwa auch die Schwäbisch Hall, wollten von ihren Kunden bereits eine Darlehensgebühr. Im Gegensatz zu der Servicegebühr, die als Fixbetrag geltend gemacht wird, würde hier ein bestimmter Prozentsatz der Kreditsumme fällig. Der BGH hatte dieser Gebühr im November vergangenen Jahres eine Absage erteilt – Bausparer können ihr Geld nun zurückfordern, sofern ihr Anspruch nicht verjährt ist.

Nauhauser geht davon aus, dass das Ende der Fahnenstange damit noch nicht erreicht ist: „Die Kassen werden noch mit weiteren Kündigungsmaschen vor Gericht ziehen.“ Ob das einen Imageschaden nach sich zieht, bleibe abzuwarten. Gehe man von den Aktienkursen aus, würde bei den Kassen die Erleichterung momentan überwiegen. Aber eines sei schon sicher: „Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Verträge hat massiv gelitten.“

Text: Tanja Bruckert
Foto: © tbr