Cannabis-Gesetz tritt in Kraft – Patienten kämpfen weiter STADTGEPLAUDER | 15.04.2017

Seit dem 10. März gibt es Cannabis offiziell auf Rezept. Und die Krankenkassen tragen die Kosten. Zumindest theoretisch. Die Praxis ist komplizierter, das zeigt etwa der Fall von Norman Schäfer aus Emmendingen. Der 27-Jährige zahlt bisher jeden Cent selbst. Ein Arzt und eine Apothekerin sind dennoch überzeugt, dass das Gesetz helfen kann.

Rauchen sollte man die Blüten nicht. Experten empfehlen, sie zu verdampfen.

Norman Schäfer hat’s vierfach erwischt: Er leidet an Epilepsie, ADHS, einer zu kurzen Hüfte und einer Wirbelfraktur. Obendrein hat er das Kiffer-Image satt. Seit eineinhalb Jahren therapiert sich der Emmendinger mit Cannabis. Seit November mit offizieller Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Wie rund 1000 weitere Deutsche. „Mit ‚Stoned-auf-dem-Sofa-rumhängen-und-Reggae-hören‘ hat das nichts zu tun“, sagt der Familienvater. Für ihn ist das Medizin.

Eine Mütze bedeckt seinen kahlen Kopf. Auf den hat er sich die Molekülstruktur von THC tätowieren lassen. „Das Leben auf der Haut haben“, nennt er das. Cannabis ist für ihn Alltag. Dabei würde er gerne ohne leben: „Ich bin kein Kiffer“, betont Schäfer. Zu gerne würde er auf Gras verzichten – und gesund sein.

Eine Wahl hat er nicht: „Ich habe vieles probiert. Und vieles wegen meiner Krankheiten nicht probieren können“, berichtet Schäfer. Cannabis helfe – zumindest einige Sorten. So habe er weniger Schmerzen, könne sich besser konzentrieren und artikulieren, sei umgänglicher. Schon vor dem Gespräch am Vormittag hat er Cannabis inhaliert. 0,6 Gramm. Schäfer dokumentiert jedes Detail der Therapie. Ein Arzt begleitet ihn, sie tauschen sich regelmäßig aus.

Maximal zwei Gramm darf er täglich nehmen. So steht’s im Schreiben vom BfArM. Doch bisher zahlt die Krankenkasse keinen Cent. Die 14,50 Euro pro Gramm beim Apotheker blättert er selbst hin. Rund 300 Euro im Monat kratzt er dafür zusammen. Für 870 Euro gäb’s die volle Dosis. Zu viel ohne festes Einkommen. Arbeiten kann Schäfer derzeit nicht. Das fehlende Cannabis macht ihm zu schaffen: „Manche Tage sind grausam“, sagt Schäfer.

Heilend: Cannabis gibt‘s in der Apotheke in kleinen Dosen.

Das neue Gesetz findet er überfällig. Automatisch besser geht es ihm deswegen aber nicht. Um die Kosten erstattet zu bekommen, muss er einen aufwendigen Antrag stellen. Den hat er kürzlich mit seinem Arzt abgeschickt. In wenigen Wochen dürfte er Bescheid wissen. Klappt das nicht, ist er am Ende. Sein Gespartes ist fast aufgebraucht.

Epilepsie-Experte Andreas Schulze-Bonhage

Seit zwei Jahren ist er bei Andreas Schulze-Bonhage von der Freiburger Uniklinik in Behandlung. Der Leiter des Epilepsiezentrums ist bekannt für seine Offenheit gegenüber Cannabis: Patienten aus der ganzen Republik melden sich bei ihm. Dabei hat Schulze-Bonhage das gleiche Problem wie alle Kollegen: „Es gibt praktisch keine Studien zur Cannabistherapie.“

Er versucht es trotzdem, denn rund ein Drittel der Epilepsie-Patienten könnten mit herkömmlichen Methoden nicht ausreichend therapiert werden. Sei der Patient einverstanden, ziehe er eine Cannabisbehandlung in Erwägung. Immer wieder mit Erfolg: Rund 40 Prozent profitierten davon, schätzt er.

In vier Jahren hat er so rund 20 Patienten behandelt. Bei einer Schülerin hat es zuletzt hervorragend funktioniert: Sie hatte anfangs zwei bis drei Anfälle am Tag. Durch Cannabis sei es nur noch einer gewesen. Als sie die THC-haltigen Dronabinol-Tropfen absetzte, stieg die Zahl ihrer Anfälle wieder an.

Mit der Krankenkasse hat Schulze-Bonhage gute Erfahrungen gemacht. Schon vor dem Cannabisgesetz seien die Kosten regelmäßig erstattet worden. Das sei aber für eine Uniklinik leichter als für einen niedergelassenen Arzt, glaubt er. 500 bis 1000 Euro im Monat koste die Therapie. Das neue Gesetz, findet Schulze-Bonhage, sei „eine kluge Entscheidung“. Die Nachfragen der Patienten haben zuletzt spürbar zugenommen. Gerade erst habe ihn ein Epileptiker aus Berlin angeschrieben.

Von steigender Nachfrage berichtet auch die Leiterin einer Freiburger Apotheke. Namentlich genannt werden möchte sie nicht. Denn die Cannabisblüten im Safe will sie lieber nicht an die große Glocke hängen. „Sonst rennen sie uns die Bude ein“, so die Befürchtung. Eine Kollegin sei vor vielen Jahren schon mal überfallen worden.

Die Apothekerin begrüßt das neue Gesetz. Für Patienten sei Cannabis aus der Apotheke viel besser als der Schwarzmarkt. Schließlich sei die genaue Dosierung das A und O einer erfolgreichen Therapie. Dafür mahlt sie ihren Kunden die Blüten und packt sie in kleine Pulverkapseln. Damit kann Tee gemacht werden oder man inhaliert die Blüten mit einem Vaporizer, der die Pflanze verdampft. „Das ist die effektivste Methode“, berichtet die Apothekerin, die extra ein Buch bestellt hat, um mehr über Cannabis zu erfahren.

Für Norman Schäfer ist das eine gute Sache. Er hatte schon mehrfach mit Ärzten zu tun, die nicht ausreichend Bescheid wussten. In so einem Fall bringt er ihnen die Infos einfach selbst mit. Er hat mittlerweile einiges Wissen angehäuft und möchte das weitergeben. Sein Traumberuf wäre, in einer Apotheke zu arbeiten.

Text: Till Neumann / Fotos: © clipdealer.de, tln, Uniklinik Freiburg