Crime City Freiburg: Stadtpolizei und mehr Beamte sollen die Stadt sicherer machen STADTGEPLAUDER | 13.04.2017

Freiburg ist die kriminellste Stadt im Land.“ Es ist der Satz, der Jahr für Jahr fällt, wenn das Freiburger Polizeipräsidium seine Kriminalitätsstatistik vorstellt. Doch diesmal fällt dieser Satz in einer Zeit, in der auch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bächlestadt-Bewohner Hand in Hand mit den Zahlen geht – und das, obwohl die Zahl der Straftaten erstmals seit 2011 wieder leicht gesunken ist.

Das Freiburger Gefängnis platzt aus allen Nähten und ist auch baulich vielerorts marode.

Ein Rückgang, mit dem sich weder Polizei noch Politik zufriedengeben wollen: Eine neue Sicherheitspartnerschaft zwischen Stadt und Land soll die Gewaltkriminalität um zehn Prozent eindämmen. Ein Ziel, das auch Michael Völkel begrüßt. Denn ein Jahr nach seiner Amtseinführung muss sich der Leiter des Freiburger Gefängnisses mit überfüllten Zellen und den daraus entstehenden Aggressionen beschäftigen: Die Anstalt, die eigentlich Platz für 525 Insassen bietet, muss momentan 577 Menschen beherbergen. Verfassungskonform ist das nicht.

Ein Stockbett mit fleckiger Matratze, ein Tisch, ein Regal, ein Schrank, ein Waschbecken und ein verschrammter Spiegel. Daneben eine Toilette, die nur durch eine dünne Sperrholzwand ohne Tür von der restlichen Zelle getrennt ist. Der 9,5 Quadratmeter große Raum wirkt auch dann beklemmend, wenn man sich alleine in ihm aufhält. Doch für die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg ist das Luxus. Mehr als 100 von ihnen müssen sich zurzeit solch eine winzige Zelle teilen. Dabei gewährt die Verfassung eigentlich jedem Gefangenen das Recht auf sieben Quadratmeter für sich.

Doch in Freiburg ist das aktuell nicht zu gewährleisten: Während es in Baden-Württemberg in den vergangenen 13 Jahren immer weniger Gefangene gegeben hat, steigt deren Zahl seit August 2015 wieder an – „seit Januar 2017 sehr sprunghaft und in einem besorgniserregenden Maße“, heißt es aus dem Justizministerium. Allein im Februar mussten die Anstalten im Land 144 zusätzliche Gefangene unterbringen. Seit Februar 2015 sind 615 hinzugekommen.

Blick ins Innere der JVA Freiburg.

„Wir sind hoffnungslos überfüllt“, sagt der Freiburger Vollzugsdienstleiter Ralf Kreuzer. Auf die 577 Insassen kommen 242 Aufseher – allerdings verteilt auf drei Schichten. Was sich zunächst viel anhört, relativiert sich, wenn man sieht, dass etwa beim Hofgang nur drei Beamte 200 Gefangene beaufsichtigen. „Je mehr Gefangene, umso unübersichtlicher wird es“, bemängelt Anstaltsleiter Michael Völkel und fordert mehr Personal.

Hinzu kommen weitere Baustellen: Die Küche ist baufällig. Die Krankenstation ist nicht barrierefrei. Statt in einem Schulbereich lernen die Gefangenen, die hinter Gittern ihren Abschluss nachholen oder studieren, in Räumen, die über das ganze Gebäude verteilt sind. Bei Völkels offizieller Amtseinführung im März hatte Justizminister Guido Wolf (CDU) zwar versprochen, den Baumaßnahmen in Freiburg Priorität einzuräumen, an der Überbelegung würde das aber nicht viel ändern. Bis sich die Lage durch Neubauten in Stuttgart, Mannheim oder Heilbronn entspannt, müssen sich einige Insassen weiterhin eine enge Zelle teilen.

Das Resultat: Mehr Streit, mehr Gewalt. „Das fängt mit dem Fernsehprogramm an und hört bei der körperlichen Hygiene auf“, weiß Kreuzer, der seit 23 Jahren im Freiburger Gefängnis arbeitet. Im Schnitt gehe der Alarm, den er und seine Kollegen bei sich tragen und mit dem sie Verstärkung rufen, mittlerweile zweimal die Woche runter, schätzt Völkel – deutlich häufiger als noch bei seinem Amtsantritt vor rund einem Jahr. Eine Rolle dabei spielen auch Auseinandersetzungen zwischen den Kulturen: So hat der Ausländeranteil in den Gefängnissen des Landes vor fünf Jahren noch bei 33,5 Prozent gelegen – in der JVA Freiburg ist er mittlerweile auf 44,9 Prozent angestiegen „Wir sind eine Art multikulturelles Männerwohnheim“, sagt Völkel.

Vollzugsdienstleiter Ralf Kreuzer zeigt die kleinen Zellen im Knast.

Die Situation im Gefängnis spiegelt zum Teil auch die kürzlich veröffentlichte Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums Freiburg wider: So waren im vergangenen Jahr 42,8 Prozent aller Tatverdächtigen Ausländer – ein Anteil, der seit Jahren steigt. Doch in Freiburg fällt er im Vergleich noch niedrig aus. Ein Blick ins Ländle zeigt: In Stuttgart haben 43,6 Prozent der Tatverdächtigen keinen deutschen Pass, in Heidelberg sind es 45 Prozent, in Mannheim 49 und in Karlsruhe 47,8 Prozent.

Bezogen auf den Ausländeranteil an der Bevölkerung sind die Straftäter überrepräsentiert. In Freiburg liegt dieser bei 16,7 Prozent. Allerdings zählen zu den nichtdeutschen Tatverdächtigen auch Touristen oder Durchreisende.

Einen großen Teil machen aber auch Flüchtlinge aus: 2016 sind in Freiburg 1759 von ihnen straffällig geworden – somit ist jeder sechste Tatverdächtige Asylbewerber. Einige Erklärungen lassen sich schnell finden: So spielte sich etwa knapp die Hälfte aller von Flüchtlingen begangenen Rohheitsdelikte – dazu zählen Raub, Körperverletzung, Bedrohungen oder Nötigungen – in den Wohnheimen ab, was sicherlich auch den beengten Verhältnissen geschuldet ist. Zudem sind unter den Asylbewerbern überdurchschnittlich viele junge Männer – die Gruppe, die generell die meisten Straftaten begeht.

Ein Recht auf Privatsphäre gibt es bei Doppelbelegungen nicht.

Der Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotzinger mahnt, mit solchen Zahlen bedacht umzugehen: weder zu verharmlosen noch zu dramatisieren. Denn egal, ob Flüchtling oder Einheimischer, „es sind meist nur wenige Intensivtäter, die für eine Vielzahl von Straftaten verantwortlich sind.“ Die Polizei reagiert darauf unter anderem mit einem Intensivtäterprogramm.

Freiburg sicherer machen soll zudem eine neue Sicherheitspartnerschaft von Stadt und Land. Aus Stuttgart gibt es dafür 25 zusätzliche Polizisten. „Beamte, die nicht an den Schreibtisch gebunden sind, sondern die man auf der Straße sieht“, erklärt Rotzinger. Die Stadt muss im Gegenzug ihren Gemeindevollzugsdienst (GVD) erweitern. Rund zwei Millionen Euro in zwei Jahren werden dafür fällig – Kosten, die der Gemeinderat nun Anfang April abgesegnet hat. Das Geld fließt in zwölf neue Stellen, die eine Art Stadtpolizei bilden. Sie soll unter anderem Graffiti, unerlaubtes Betteln oder Wildpinkeln verhindern.

Nicht alle Fraktionen sind darüber erfreut: „Dass behauptet wird, Kriminalität oder gar Gewaltkriminalität entstünde aus unerwünschten Verhaltensweisen wie Lagern, Vermüllung und Graffiti, ist blanker Unsinn“, findet Monika Stein, Sprecherin der Grünen Alternative Freiburg. Johannes Gröger von den Freien Wählern tritt Befürchtungen einer zu sauberen Stadt entgegen: „Die Gefahr einer ‚cleanen‘ Stadt besteht nicht – zehn GVDler können da wenig ausrichten.“ Kritisiert wurde im Gemeinderat zudem, dass die Stadtpolizei nur bis 22 Uhr im Einsatz sein soll. Auf Antrag von vier Fraktionen überprüft die Verwaltung nun, ob sie auch bis 24 Uhr eingesetzt werden könne.

Ein Recht auf Privatsphäre gibt es bei Doppelbelegungen nicht.

Denn ein Brennpunkt ist weiterhin das Nachtleben. „Die Stadt verändert um Mitternacht ihr Gesicht“, beklagt Rotzinger. Seit Langem gefordert wird daher die Wiedereinführung eines Frauentaxis, das 2003 aus Kostengründen eingestellt wurde. Nun scheint der Weg frei: Die Verwaltung will ein Konzept erarbeiten, das diesen Sommer vorgestellt werden soll.

Auch eine bessere Beleuchtung und zusätzliche Videoüberwachung sollen das Sicherheitsgefühl verbessern. An Brennpunkten wie dem Bermuda-Dreieck, dem Colombipark und dem Stühlinger Kirchplatz werden nun Kameras aufgehängt. Im Bermuda-Dreieck sichten Beamte die Bilder Donnerstag-, Freitag- und Samstagnacht live. Schließlich sollen die Kameras nicht nur abschrecken, sondern auch helfen, Täter auf frischer Tat zu ertappen. „Wenn wir uns als leistungsstark in den Ermittlungen zeigen, schreckt das auch ab“, macht Kripochef Peter Egetemaier deutlich.

Innenminister Thomas Strobl (3. v. l.), Oberbürgermeister Dieter Salomon (3. v. r.) und Polizeibeamte an einem Brennpunkt in Freiburg: dem Stühlinger Kirchplatz.

Ein Problem sei, was danach geschehe – denn immer häufiger hinkt die Staatsanwaltschaft wegen Personalmangels bei der Strafverfolgung hinterher. „Wenn wir die Polizei erheblich verstärken, die Staatsanwaltschaften aber nicht, müssen Ermittlungen eingestellt werden“, räumte Guido Wolf bei einem Pressegespräch vergangenes Jahr ein. „Das ist Frustration pur für die Polizei.“

Bei der sieht man noch ein anderes Problem. „Bewährungsstrafen scheinen für viele Täter keine richtige Strafe zu sein“, sagt Rotzinger. „Ich wäre ja für vier Wochen Probesitzen.“ Ein Vorschlag, den auch Gefängnisleiter Völkel nicht schlecht findet – vor allem im Jugendvollzug. „Viele verstehen gar nicht, wo sie sich hinbewegen“, sagt der 47-Jährige. „Eine Bewährungsstrafe heißt für viele: Es ist nichts passiert, also, kein Grund was zu ändern.“

Völkel spricht hier eine Grundsatzdiskussion an: Kann ein Gefängnis resozialisieren oder führt eine Gefängnisstrafe erst recht in die Kriminalität? Es gibt beide Seiten, ist sich der JVA-Leiter sicher: „Wir können nur Angebote machen. Aus einem Straftäter, der sich nicht ändern will, werden wir keinen guten Menschen machen.“

Text: Tanja Bruckert / Fotos: © ns, tbr, Steve Przybilla, Polizei Freiburg

»Hier spielt das pralle Leben«

JVA-Leiter Michael Völkel über sein erstes Jahr hinter Freiburger Gittern

Michael Völkels Hauptarbeit spielt sich nicht in der Zelle ab, nicht beim Hofgang und nicht in den Werkstätten. Die meiste Zeit des Tages sitzt ein Gefängnisleiter hinter dem Schreibtisch. „Trotzdem ist es mir wichtig, dass ich mit allen in Kontakt bin – von der Schulleitung bis zum Psychologen“, sagt der 47-Jährige, der bereits Führungspositionen in Gefängnissen in Hamburg, Hahnöfersand, Stuttgart und Offenburg innehatte. Die ersten Änderungen, die er im Freiburger Gefängnis vorgenommen hat, haben vor allem das Personal betroffen: Neue Arbeitsgruppen für größere Teilhabe oder ein regelmäßiger Infoflyer für mehr Transparenz. „Ich bin ein Fan davon, Menschen einzubeziehen.“

Was Michael Völkel im Knast erlebt, passt in keinen Krimi.

Auch die Sorgen und Nöte der Gefangenen hört er sich gerne persönlich an. Einmal die Woche lädt er zur Sprechstunde. Was ihn da erstaunt: „Ich höre sehr selten Klagen über das Essen. Das ist sonst der Klassiker.“ Stattdessen werden mehr ausländische Fernsehprogramme gefordert, die hohen Kosten fürs Telefonieren bemängelt – und natürlich über die Überbelegung geklagt.

Eine besondere Herausforderung für den Familienvater ist die Sicherungsverwahrung. Die JVA Freiburg ist der einzige Ort in Baden-Württemberg, an dem Menschen nach ihrer Haft untergebracht werden, wenn man sie als zu gefährlich für eine Entlassung einstuft. Manch ein Gefangener lebt hier nach seiner Haftstrafe nochmal 20 oder 30 Jahre, einige sogar bis zum Tod.

Während die momentan 61 Sicherungsverwahrten früher fast genauso behandelt wurden wie Gefangene, fordert die EU seit einigen Jahren eine intensivere Betreuung. „Wir sollen hier genauso intensiv mit den Menschen arbeiten wie in einer Psychiatrie“, sagt Völkel. Neben klassischer Therapie gibt es daher Angebote wie Kunsttherapie, backen oder Origami falten. 26 Beamte sind für die Sicherungsverwahrung zuständig – zu wenig, als dass den Wärtern noch Zeit für die Betreuung neben der reinen Grundversorgung bliebe. Dabei wird die immer wichtiger. „Die Klientel hat sich verändert“, sagt Völkel mit Blick auf die gesamte Anstalt. „Es gibt mittlerweile sehr viele psychisch auffällige Gefangene.“ Erst im März war die JVA in der Presse, weil ein Georgier einem anderen mit einer Rasierklinge den Hals aufgeritzt hatte.

„Es gibt hier sehr ernste Sachen – aber auch manches zum Schmunzeln“, so Völkel. „Hier drin spielt eben das pralle Leben. Wenn man das im Tatort sehen würde, würde man sich fragen: Was hat sich der Drehbuchautor da für einen Unsinn ausgedacht?“

Text und Foto: Tanja Bruckert