Das Online-Wunschkonzert: Sinn und Unsinn des Freiburger Beteiligungshaushalts SPECIALS | 29.03.2017

Es ist eine Erfolgsbilanz wie aus dem Buche: Die Zahl der Teilnehmer ist im Vergleich zum Vorjahr um satte 1700 auf 4929 gestiegen, die Zahl der Kommentare hat sich mehr als verdoppelt, die der Bewertungen locker verdreifacht. Dabei sind die Kosten im Vergleich zum ersten Beteiligungshaushalt von vor acht Jahren nicht einmal mehr halb so hoch. Während der zuständige Bürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) daher voll des Lobes ist, hagelt es aus der Grünen-Fraktion Kritik.

„Den Beteiligungshaushalt kann man streichen“, findet Gerhard Frey deutliche Worte. „Ich halte ihn für überflüssig.“ Hinter vielen erfolgreichen Vorschlägen steckten „Kampagnen“, macht der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Freiburger Rathaus deutlich: Interessensgemeinschaften, die alle Hebel in Bewegung setzen, um noch den einen oder anderen Like mehr zu bekommen.

So ist laut Beteiligungshaushalt ein sogenannter Pumptrack – eine asphaltierte Mountainbike-Strecke – die wichtigste Forderung der Freiburger. Ob das tatsächlich eine Mehrheitsmeinung widerspiegelt, mag bezweifelt werden.

Schützenhilfe bekommt Frey, wenn auch deutlich zurückhaltender, von der Fraktionschefin: „Ich halte ihn zumindest für fragwürdig, weil er suggeriert, dass er eins zu eins umgesetzt wird“, so Maria Viethen. Dabei ist der Beteiligungshaushalt mitnichten ein bindendes Instrument: Diskutiert werden hier Anregungen, die der Gemeinderat bei seinen Anträgen beachten kann – oder auch nicht. Vor zwei Jahren haben es 19 der 220 Vorschläge in den Haushalt geschafft. Aus der Top Ten wurde fast jeder Vorschlag aufgenommen.

Die beiden diesjährigen Favoriten – der Pumptrack und das Freibad West – werden voraussichtlich keine Mehrheit im Gemeinderat finden. Für das Freibad ist das nichts Neues, es hangelt sich seit Jahren von Beteiligungshaushalt zu Beteiligungshaushalt – trotz großer Zustimmung. Der Pumptrack ist jedoch dank des Onlinevotums bei manchen Fraktionen erstmals auf dem Radar aufgetaucht. „Wir haben ihn nur aufgrund des Beteiligungshaushalts bei unseren Anträgen aufgenommen“, sagt Atai Keller von den Unabhängigen Listen. „Das Online-Instrument hat bei unseren Beratungen eine sehr große Rolle gespielt – schließlich ist es ein Gradmesser der Stimmung in der Bevölkerung.“

Es ist der angespannten Finanzsituation geschuldet – die Verwaltung rechnet mit Neuschulden von 80 Millionen Euro –, dass der neue Doppelhaushalt kein Wünsch-dir-was-Haushalt wird. Warum dann überhaupt ein Online-Wunschkonzert? Wären die Kosten von 106.723 Euro in diesem angespannten Haushalt nicht an anderer Stelle besser aufgehoben? „Ich würde mich sehr dagegen wehren, den Beteiligungshaushalt auszusetzen“, sagt von Kirchbach mit Nachdruck. „Er ist ein Erfolgsmodell, mit dem wir uns vor keiner anderen Stadt verstecken müssen.“ In Deutschland gibt es gerade einmal in 116 Kommunen Bürgerhaushalte, das sind rund 27 Prozent. Und nur 42 Städte und Gemeinden haben ihre Bürger mehr als zweimal mitsprechen lassen. Neben den Gesprächen mit den Fraktionen und der Bürgerumfrage sei das Online-Instrument – auch wegen seiner Transparenz und der niederschwelligen Beteiligung – eine sinnvolle Ergänzung.

„Natürlich ist es eine Form der Lobbyarbeit, wenn man versucht, sein Anliegen zu pushen“, räumt der Bürgermeister ein, „aber auch, wenn einer 900 Leute mobilisiert, ihn zu unterstützen, gibt es noch 4800, die das ganz anders bewerten können.“

Text: Tanja Bruckert / Foto: © clipdealer.de

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