Deal am Dietenbach: Sparkasse steigt als Investor für neuen Stadtteil ein SPECIALS | 08.02.2017

Die Freiburger Sparkasse betritt buchstäblich Neuland: Sie bietet sich mit der noch zu gründenden Tochtergesellschaft Breisgau Grundverkehrs GmbH als Käuferin aller privaten Grundstücke im geplanten neuen Stadtteil Dietenbach an – und zahlt den Eigentümern mehr als das Vierfache dessen, was das Freiburger Rathaus gezahlt hätte. Die Stadtverwaltung kann sich somit darauf konzentrieren, das Quartier baureif zu machen. Das neue Zauberwort heißt Konsensmodell. Es hat das Zeug zum Erfolgsmodell. Baubürgermeister Martin Haag hat’s erarbeitet.

Designierter neuer Stadtteil Dietenbach: Im Anschluss ans Rieselfeld sollen mal 12.500 Freiburger wohnen können.

Designierter neuer Stadtteil Dietenbach: Im Anschluss ans Rieselfeld sollen mal 12.500 Freiburger wohnen können.

„Ich halte das politisch für den Durchbruch“, sagt Oberbürgermeister Dieter Salomon. Mit dem neuen Modell könnten die drohenden Massenenteignungen (wir berichteten) verhindert werden. Bislang hatte das Rathaus den 412 privaten Eigentümern nur – die bei der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme per Gutachter festgesetzten – 15 Euro für den Quadratmeter geboten. Die Sparkasse zahlt nun 64. Nach Verhandlungen an der Schmerzgrenze. Sie kann das, weil sie keine städtische Tochter ist. Die Stadt Freiburg ist nur eine von 35 Städten und Gemeinden, die die Träger des Kreditinstituts sind.

Vorstandschef Marcel Thimm will zwar mit den Grundstücken, die, wenn der Bebauungsplan bis dahin fertig ist, ab 2020 an Bauwillige verkauft werden, keine Gewinne machen. Aber er setzt sich durch den Deal am Dietenbach bei der Finanzierung der Neubauten in die erste Reihe. Die Bank hat durch ihre Beteiligung an der badenova-KONZEPT GmbH durchaus Erfahrung mit der Erschließung von Baugebieten, betritt hier aber geschäftlich Neuland. „Wir wollen bei den Grundstücken nur eine schwarze Null erreichen, schaffen uns dadurch aber einen Markt für Baufinanzierungen“, so Thimm, der, anders als etwa Private es machen würden, eine gläserne Kalkulation der Verkaufspreise zugesagt hat. Diese werden aus heutiger Sicht im Schnitt wohl bei etwa 750 pro Quadratmeter liegen. Die Erlöse wird die Bank dann an die Stadt überweisen, damit die die Infrastruktur bezahlen kann, die aktuell auf 613 Millionen Euro taxiert ist.

„Es ist ein großer Durchbruch gelungen, ein Meilenstein“, sagt Rechtsanwalt Thomas Burmeister, der eigenen Angaben zufolge rund 220 der 412 Eigentümer vertritt. Seine Mandanten hätten bei einer Eigentümerversammlung mehrfach Beifall geklatscht: „Wir gehen davon aus, dass jetzt noch mehr Eigentümer zu uns kommen und beim Konsensmodell mitmachen wollen.“ Wer noch in diesem Jahr den nötigen Optionsvertrag unterzeichne, bekomme pro Quadratmeter noch einen Euro drauf.
„Wir halten das für eine gute Lösung. Die Entscheidung, entweder nur 15 Euro zu bekommen oder gar enteignet zu werden, war nicht charmant“, sagt Clemens Imberi vom Eigentümerbeirat.

Haag erhofft sich nun mehr Tempo in den Verhandlungen, die schon seit drei Jahren laufen und bisher nur zehn Verkaufsverträge eingebracht haben. Auch diese zehn sollen die Differenz zwischen 15 und 64 Euro von der Sparkasse noch bekommen. Wer sich indes weiter weigert, wird wohl am Ende doch noch enteignet werden.

Das Gebiet im Freiburger Westen ist 164 Hektar oder 234 Fußballfelder groß, 59 Hektar oder 84 Rasenrechtecke können nach aktueller Planung mit Wohnhäusern bebaut werden. Wer diese Fläche mit 750 Euro multipliziert, landet bei 442 Millionen Euro. Selbst bei dem Preis klafft also noch ein 170-Millionen-Euro-Loch in der Kalkulation. Die Stadtverwaltung geht – inflationsbereinigt über 21 Jahre – von 56 Millionen Euro aus (siehe Infobox). „Aus dem Haushalt können wir das nicht finanzieren“, so Salomon. Es sei aber eine der vordringlichsten Aufgaben der Stadt, Flächen bereitzustellen, auf denen schnell und zu „bezahlbaren Preisen“ gebaut werden kann.

Ob bei den Bodenpreisen im neuen Quartier sozialer Wohnungsbau wirtschaftlich überhaupt darstellbar ist, steht derweil in den Sternen. „Wir gehen davon aus, dass die öffentlichen Förderprogramme das möglich machen“, sagt dazu Finanzbürgermeister Otto Neideck. Salomon will zudem einen klimaneutralen Stadtteil – auch das wird sich nicht preismildernd auswirken. Es ist eine Frage der politischen Gewichtung.

So sieht die grobe Planung aus: Der Dietenbach soll durchs Viertel mäandern. Das allein kostet sechs Millionen Euro.

So sieht die grobe Planung aus: Der Dietenbach soll durchs Viertel mäandern. Das allein kostet sechs Millionen Euro.

84 Hektar der Flächen (51 Prozent) gehören Privaten, 50 Hektar davon vertritt Burmeister. Der Stadt Freiburg (52 Hektar) und dem Land Baden-Württemberg (22 Hektar) gehören 46 Prozent, 3 Prozent oder 6 Hektar hält der Bund. Bis zu 5500 Wohnungen für 12.500 Menschen sollen im Dietenbach gebaut werden. Im Rieselfeld leben knapp 10.000, im Vauban 5500. Mit dem Konsensmodell ist ein ganz schwerer Brocken auf dem Weg zum neuen Stadtteil weggeschoben.

Zwar muss der Gemeinderat dem Modell noch zustimmen, wenn er sich dem aber verweigert, wäre nach Burmeisters rechtlicher Einschätzung die Entwicklung eines neuen Stadtteils „tot“.

Auf das Beschaffen von Ersatzflächen für die Dietenbacher Landwirte hat das Modell keinen Einfluss. „Wir brauchen für diese 76 Hektar, 28 haben wir und sind zuversichtlich, dass wir den Rest auch noch bekommen“, sagt Annette Schubert, die Leiterin der Projektgruppe Dietenbach.

Kritik am Konsensmodell übte der Umweltschutzverein ECOtrinova. Dessen Vorsitzender Georg Löser hält den vom Rathaus und vom Gemeinderat prognostizierten Flächenbedarf pro Kopf für überzogen: „Bliebe der auf dem 2012er Niveau von rund 38 qm, entfällt bis 2030 ein Bedarf von rund 9000 Wohnungen, mehr als das Anderthalbfache von Dietenbach.“ Der Neubaustadtteil auf der grünen Wiese sei unnötig und abzulehnen.

Mitte Januar hat sich zudem die Bürgerinitiative (BI) Pro Landwirtschaft und Wald in Freiburg Dietenbach & Regio gegründet, die fordert, Böden, Wald und Wiesen komplett zu erhalten. „Wir Landwirte“, heißt es in einer Pressemitteilung, „werden unsere Grundstücke nicht verkaufen.“

Thimm hat derweilschon die Vereinigung Freiburger Wohnungs- und Gewerbeunternehmen informiert und darin versichert, dass die Bank nicht an den Interessen ihrer wichtigsten Klientel vorbei agieren werde. Ob der Deal am Dietenbach aber klappt, das entscheidet für ihn allein die Wirtschaftlichkeit. Ist die für die Bank nicht gegeben, wird sie ihre Optionen wieder zurückgeben.

Text: Lars Bargmann / Foto: © ns / Visualisierung: © bs plus städtebau und architektur gbr

Das kostet Dietenbach

„Das ist“, sagt Annette Schubert, „das größte Projekt in der jüngeren Stadtgeschichte.“ Vor ihr auf dem Bildschirm ist die Kalkulation für den neuen Stadtteil zu sehen. Dort steht die Zahl 613 Millionen Euro. Das wird er kosten. Die soziale Infrastruktur mit einer Grund- und einer weiterführenden Schule, 19 Kitas mit 84 Gruppen, Freisportflächen, zwei Turnhallen, Quartiersbüro und Jugendtreff verschlingt als größer Brocken 218 Millionen Euro. Die technische Erschließung innerhalb des Gebiets mit dem Straßen- und Kanalbau 116 Millionen. Fürs Freimachen des Baulands sind weitere 51 Millionen geplant (mit Entschädigungen, der Verlegung von landwirtschaftlichen Nutzflächen), für Grünanlagen 74 Millionen, fürs Projektmanagement 40 Millionen, was im Wesentlichen externe Büros leisten müssen.

Die Verbesserung der verkehrlichen Infrastruktur (Ausbau der B31, Optimierung der Brücke nach Lehen, Optimierung der Besançonallee) ist mit 25 Millionen Euro veranschlagt, Planungsleistungen mit 12, Ausgleichsmaßnahmen mit 11, der Ausbau des Dietenbachs kostet 6, die Vermarktung 3 und schließlich die Öffentlichkeitsarbeit 2 Millionen Euro. Für den Grunderwerb sind 16 Millionen Euro kalkuliert. Diese Zahl aber wird mit dem Konsensmodell nicht zu halten sein. Der Kauf der Flächen von Land (22 Hektar) und Bund (3 Hektar) wird bei 15 Euro rund 3,75 Millionen Euro kosten. Da die Privaten 84 Hektar haben und nun 64 Euro bekommen können, würde das knapp 54 Millionen Euro kosten. Ein Loch von gut 40 Millionen.

Die Einnahmen hat das Rathaus inflationiert mit zwei Prozent jährlich über 21 Jahre angesetzt, kommt so auf 558 Millionen Euro und auf eine Unterdeckung von 59 Millionen – ohne die 40 aus dem Grunderwerb. Ohne Hilfen aus dem Haushalt wird es wohl nicht klappen, das größte Projekt der jüngeren Stadtgeschichte zu finanzieren.

Text: bar / Foto: © Felix Holm