„Die guten Jahre sind vorüber“: Interview mit Ulrich von Kirchbach STADTGEPLAUDER | 15.12.2016

Freiburgs Kultur- und Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD) hat ein Jahr hinter sich, dass stark durch die Flüchtlingswelle beeinflusst war. Im traditionellen Weihnachtsinterview, nun schon im 13. Jahr, spricht der Dezernent mit den Redakteuren Tanja Bruckert und Lars Bargmann aber auch über die Dramatik auf dem Wohnungsmarkt und das Clubsterben, über Missstände, verfehlte Förderpolitik und Erfolge.

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, Finanzbürgermeister Otto Neideck hat im Juni berichtet, dass im laufenden Jahr 60 und im Doppelhaushalt 2017/2018 noch einmal 130 Millionen Euro fehlen. Mit welchen Auswirkungen für Ihren Etat?

von Kirchbach: Die Einnahmesituation hat sich zwischenzeitlich verbessert, im Verwaltungshaushalt werden wir eine schwarze Null hinkriegen. Der Investitionshaushalt aber muss über Kredite gestemmt werden, die bis zu 80 Millionen Euro umfassen können.

cultur.zeit: Die Zeit der Schuldentilgung ist vorbei…

von Kirchbach: Die guten Jahre sind vorüber, lägen Sie vor mir, wäre es mir lieber. Es wäre mir auch lieber, keine Schulden aufzunehmen, aber die Situation ist wie sie ist, und wir werden damit zurechtkommen.

cultur.zeit: Neideck hatte für das Loch nicht zuletzt die Flüchtlingsversorgung verantwortlich gemacht…

von Kirchbach: …es gilt die politische Zusage des Landes, dass von dort alle Kosten übernommen werden.

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cultur.zeit: Das Ende der guten Jahre hat welche Auswirkungen auf Ihren Etat?

von Kirchbach: Wir müssen nicht kürzen, aber für zusätzliche Wünsche ist kein Platz im Haushalt.

cultur.zeit: Die 12,4 Millionen schwere Investition in den dritten Bauabschnitt im Augustinermuseum…

von Kirchbach: …ist nicht gefährdet. Da wir Bundesmittel bekommen, sind wir in der Pflicht.

cultur.zeit: Warum investiert das Rathaus auch in den Paulussaal, obwohl der der Evangelischen Stadtmission gehört und auch nach der Sanierung Ende 2017 noch für drei Jahre durch die Uni blockiert ist?

von Kirchbach: Ohne unsere Zuschüsse, 400.000 Euro, wäre der Paulussaal gar nicht saniert worden. Aber mit dem Paket an Veranstaltungen, für die wir ja dort nur Nebenkosten bezahlen müssen, macht das Sinn. Zudem ist der Saal ein wichtiger kultureller Veranstaltungsort an Wochenenden, der erhalten werden muss und auch von uns genutzt werden kann.

cultur.zeit: Stolze 4,3 Millionen Euro sind in die Stadthalle geflossen, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Nun soll die Halle ab Ende des Jahres bis Mitte 2018 leer bleiben. Haben Sie keine bessere Idee?

von Kirchbach: Die Investition war richtig. Wir hatten in der Spitze 400 Flüchtlinge im Monat und haben die Stadthalle über ein Jahr lang genutzt, sonst hätten wir Turnhallen nehmen müssen. Wir behalten die Stadthalle also als Reservekapazität für Flüchtlinge. Parallel prüfen wir alternative Nutzungen.

cultur.zeit: Wie viele Flüchtlinge leben aktuell in Freiburg?

Kirchbach: 3400. Und auch wenn wir die nächste Zeit jeden Monat 25 dazu bekämen, hätten wir genug Plätze. Die Versorgung der Flüchtlinge war 2016 die Herkulesaufgabe. Dass wir die gemeistert haben, war nur möglich, weil wir dezernatsübergreifend sehr gute Arbeit geleistet haben und das zivile Engagement beeindruckend war.

cultur.zeit: Draußen zuhause heißt es immer noch für viele Obdachlose. Nachts friert es, die Hilfeeinrichtung Oase ist restlos ausgebucht und das Rathaus hat trotzdem Obdachlose aus der wärmeren Innenstadt verbannt. Wie passt das zu einer sozialen Stadt?

von Kirchbach: Wenn 100 Menschen in der Innenstadt übernachten, viele aus Osteuropa übrigens, zu denen wir keinerlei Zugang hatten, muss man unsere Polizeiordnung umsetzen. Es ist ja nicht so, dass die Leute weggetragen wurden. Aber wir haben auch unsere Angebote erweitert, in der Waltershofener Straße und in der Bötzinger Straße in bisherigen Flüchtlingsunterkünften zusätzliche Plätze geschaffen. Und auch in Zähringen werden wir noch Container für Wohnungslose stellen. Wir haben heute schon fast 80 Plätze und werden die Kapazitäten weiter erhöhen.

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cultur.zeit: Wie viel Obdachlose leben in Freiburg?

von Kirchbach: Etwa 650, die ans Sozialsystem angekoppelt sind. Die Dunkelziffer wird bei 800 bis 1000 liegen. Längst nicht alle aber wollen auch untergebracht werden.

cultur.zeit: In Freiburg bekommen nicht nur Obdachlose keine Bleibe, sondern mittlerweile auch Familien mit doppeltem Einkommen.

von Kirchbach: Das Wohnungsproblem hat weiter an Dramatik zugenommen. Wer heute seine Wohnung durch Trennung oder Eigenbedarfskündigung verliert, hat viel zu wenige Chancen, in der Stadt bleiben zu können. Wir machen, was möglich ist, aber bis der neue Stadtteil kommt, wird es noch dauern. Die Wohnungspolitik wird in der Sozialpolitik die entscheidende Rolle spielen.

cultur.zeit: Viele aus der Branche kritisieren das Land für eine zu geringe Förderung im sozialen Wohnungsbau.

von Kirchbach: Aktuell ist das angesichts der Niedrigzinsphase eine verfehlte Förderpolitik. Die Freiburger geben heute schon einen sehr großen Teil ihres Einkommens für die Mieten aus. Da sind wir bundesweit spitze. In die Oase kommen jetzt schon Menschen, die einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, weil die sich keine Wohnung mehr leisten können. Das kann nicht sein.

cultur.zeit: Es kann auch nicht sein, dass das Theater unrechtmäßige Deals mit dem Pächter der Passage 46 abschließt. Das Rechnungsprüfungsamt hat kritisiert, dass der Eigenbetrieb beim Umbau über die Pachtvorauszahlungen hinaus noch einmal illegal zusätzliche 225.000 Euro „an Land gezogen“ hat. Wie kann es sein, dass Ihr Kulturdezernat davon nichts wusste?

von Kirchbach: Da lief einiges nicht gut. Wir sind aber bei den Verträgen in Eigenbetrieben nicht involviert. Hier habe ich zwar nichts falsch gemacht, aber ich hätte mehr nachfragen müssen.

cultur.zeit: Welche Folgen haben die Ereignisse für die Zukunft?

von Kirchbach: Das Theater wird künftig den Theaterausschuss mehr einbinden.

cultur.zeit: Von der Hoch- zur Subkultur. Das Freiburger Clubsterben hat mit Schmitz Katze ein weiteres, prominentes Opfer. In der Silvesternacht fällt der Vorhang. Für viele junge Menschen ist das als Kulturstätte wichtiger als Theater oder Konzerthaus.

von Kirchbach: Das Clubsterben hat mich wirklich überrascht. Aber jeder Club hat erst einmal Gewinnabsichten, deswegen spielen die Clubs bei der Kulturförderung keine Rolle.

cultur.zeit: Das Crash ist wegen der Ausbaupläne der IHK gefährdet. Was will der Kulturbürgermeister?

von Kirchbach: Da gibt es eine Übergangslösung, das Crash darf vorerst bleiben, muss aber mehr Miete als bisher zahlen. Später soll der Club in den Keller eines Neubaus integriert werden. Das finde ich richtig.

cultur.zeit: Das Literaturhaus, das Sie schon Anfang 2015 eröffnen wollten, hat 2016 immer noch keine Heimat bezogen…

von Kirchbach: Es gab viele Verzögerungen, aber ich bin mit Uni-Rektor Hans-Jochen Schiewer in engem Kontakt und wir hoffen, dass wir nun im nächsten Sommer das Haus in der Alten Uni endlich eröffnen können.

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cultur.zeit: Sie hoffen?

von Kirchbach: Wir haben schon zu viele Eröffnungstermine kommuniziert.

cultur.zeit: Was lief neben der Passage 46 kulturpolitisch schlecht?

von Kirchbach: Bedeutsamer als die Passage ist der Tod des Freiburger Filmfests. Vor drei Wochen haben die bisherigen Veranstalter mir endgültig erklärt, dass sie nicht weitermachen. Das ist sehr schade, da ich das Filmfest sehr geschätzt habe. Die FWTM und das Studierendenwerk hatten ihre Hilfe angeboten, leider hat dies nicht zu einem Umdenken geführt.

cultur.zeit: Was kann besser werden?

von Kirchbach: Ich finde, dass die Kunst im öffentlichen Raum immer noch ein Schattendasein führt. Die Kunstkommission arbeitet zwar im zweiten Jahr, aber die finanzielle Ausstattung ist relativ bescheiden. Da müssten wir mehr tun. Immerhin wird es im neuen Rathaus auf einer 46 Meter langen Wand ein Kunstwerk geben (für 300.000 Euro von der Berlinerin Schirin Kretschmann, d. Red.), das finde ich toll.

cultur.zeit: Was lief 2016 gut?

von Kirchbach: Ich fand es wichtig, dass wir die Straßennamen geprüft haben und nun auch welche ändern. Ich finde es richtig, dass wir im Augustinermuseum die Ausstellung Nationalsozialismus in Freiburg machen. Das war überfällig. Man muss sich mit der Geschichte auseinandersetzen. Ich freue mich, dass wir gerade die Nachricht bekamen, dass im Jahr 2018 fast 5.000 Sänger zum Deutschen Chorwettbewerb nach Freiburg kommen und dass wir auch den Bundesentscheid bei Jugend musiziert nach Freiburg kriegen werden, 2020 zum Stadtjubiläum. Und die Gründung des Marina-Zwetajewa-Instituts, an der die Stadt sich beteiligt hat, finde ich auch ein gutes Signal. Im nächsten Jahr haben wir dort bei russischen Kulturtagen ein Programm zu 100 Jahre Revolution in Russland, für das wir 200.000 Euro vom Bund erhalten haben Es ist mir wichtig, dass wir hier im internationalen Kulturaustausch bleiben. Am wichtigsten aber ist, dass wir am Augustinermuseum nahtlos weitermachen können, damit wir zum Stadtjubiläum 2020 fertig sind.

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, danke für dieses Gespräch.