Die neue Freiburger Finanzministerin Edith Sitzmann im chilli-Interview STADTGEPLAUDER | 30.06.2016

Seit 1952 das Bundesland Baden-Württemberg gegründet wurde, zählten neun Finanzminister zu den Regierungskabinetten. NeunMänner. Nie ein Grüner. Seit dem 12. Mai ist alles anders. In der neuen grün-schwarzen Regierung des wiedergewählten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist eine Frau Chefin des Finanzministeriums. Und sie ist eine Grüne. Und sie ist schon seit 30 Jahren Freiburgerin: Edith Sitzmann. chilli-Chef-Redakteur Lars Bargmann unterhielt sich mit der 53-Jährigen.
 
Die erste Grüne im Chefsessel:  Edith Sitzmann will viele Termine mit dem E-Bike machen.
 
chilli: Frau Sitzmann, Frauen ticken anders, heißt es, auch als Finanzministerin?
Sitzmann: Frauen ticken vielleicht manchmal anders, aber nicht immer. Ich freue mich jedenfalls sehr darüber, dass ich jetzt Finanzministerin bin.
 
chilli: Früher haben Sie als Moderatorin und Coach gearbeitet. Inwiefern hilft das in der Politik?
Sitzmann: Über viele gute Moderationstechniken zu verfügen, ist in der Politik von Vorteil. Prozesse zu moderieren, bei unterschiedlichen Meinungen zu vermitteln, benötigt auch Verhandlungsgeschick. Allerdings geht es mir dabei immer um die langen Linien.
 
chilli: Die Stuttgarter Nachrichten berichteten von der Schlüsselszene der Koalitionsverhandlungen, in denen Sie die Hauptrolle spielten. Sie sollen die finalen Verkrampfungen beim Verhandeln mit einer simplen Pinnwand gelöst haben?
Sitzmann: Ja, das stimmt. Als die Verhandlungen stockten, habe ich nachts um zwei Uhr eine Pinnwand reingerollt. Dann haben wir angefangen, die Knackpunkte auf Moderationskärtchen hin und her zu schieben, bis wir eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Manchmal sind es die einfachen Dinge, die uns weiterhelfen.
 
chilli: Kretschmann meinte unlängst beim Parteitag, Sie hätten das „Verhandeln so in den Genen, dass den Schwarzen manchmal ganz anders wurde“. Warum haben Sie Geschichte und Kunstgeschichte studiert?
Sitzmann: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Es ist richtig, ich verhandle nun mal gerne. Auf der anderen Seite haben mich historische Entwicklungen, ob in der Kunst oder in der Gesellschaft, schon immer fasziniert. Wir können aus der Geschichte viel lernen. Für eine gute Zukunft ist es wichtig, die Vergangenheit zu kennen.
 
chilli: Baden-Württemberg war Ende 2014 mit rund 46 Milliarden Euro verschuldet, 2015 zahlte das Land 1,7 Milliarden nur an Zinsen. Wie bewerten Sie die wirtschaftliche Lage?
Sitzmann: Baden-Württemberg ist ein starker Wirtschaftsstandort, der in den Bereichen High-Tech-, Industrie- und Dienstleistungen weltweit einen ausgezeichneten Ruf hat. Bei vielen wirtschaftlichen Indikatoren belegt der Südwesten im nationalen und internationalen Vergleich Spitzenpositionen. Der wirtschaftliche Aufschwung steht auf einem breiten Fundament: unseren kleinen und mittleren Unternehmen.
 
chilli: 2011, nach der Machtübernahme durch die Grünen, gab es ein strukturelles Defizit von 2,5 Milliarden Euro jährlich. Und heute?
Sitzmann: Wenn die Flüchtlingszahlen niedrig bleiben, müssen wir bis 2020 noch etwa 1,8 Milliarden Euro strukturell einsparen.
 
chilli: Strebt die neue Finanzministerin nur keine Neuverschuldung an, was ab 2020 ohnehin Beschlusslage ist, oder will Sie sogar Schulden abbauen?
Sitzmann: Es wird schwierig genug, von 2020 an die Schuldenbremse einzuhalten. Das darf man nicht unterschätzen. Wir müssen den Haushalt konsolidieren und zugleich in wichtige Bereiche investieren, um das Land fit für die Zukunft zu machen.
 
chilli: Denken Sie tatsächlich erneut über eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer nach? Die ist gerade erst von 3,5 auf 5 Prozent erhöht worden.
Sitzmann: Das ist die einzige Steuer, über die das Land alleine entscheiden kann. Deshalb ist sie in der Diskussion wie alles andere auch. Aber es gibt noch keine konkreten Pläne.
 
chilli: Wie ist Ihr Verhältnis zu den Beamten im Ländle? Sie haben sich stark für Einsparungen bei denen eingesetzt …
Sitzmann: Ein erfolgreiches Land braucht gute Beamte. Das geht nicht ohne eine angemessene Besoldung. So wollen wir etwa die Kürzung der Eingangsbesoldung schrittweise zurücknehmen, weil es gerade in Zeiten von Personalmangel wichtig ist, dass das Land ein attraktiver Arbeitgeber bleibt. Als Sparmaßnahme haben wir in den vergangenen Jahren die Tariferhöhungen für die Angestellten jeweils verzögert an die Beamtenschaft weitergegeben, und das sozial gestaffelt. Dieses Thema werden wir sicher erneut diskutieren.
 
chilli: Finanzminister sind im Volk selten Everybody’s Darling …
Sitzmann: Da gehe ich ganz pragmatisch ran. Ich muss nicht Everybody’s Darling sein. Wenn man Politik macht, kommt es nicht darauf an, dass man mehr oder weniger beliebt ist. Man muss einen ordentlichen Job machen. Mir ist es wichtig, etwas zu bewegen. Als Finanzministerin kann ich das. Für Grüne ist Nachhaltigkeit sehr wichtig. Das gilt nicht nur ökologisch, sondern auch in der Finanzpolitik. Die Jungen, die nach uns kommen, sollen ja auch noch was entscheiden können.
 
chilli: Wenn Parteikollege Dieter Salomon, bei dem Sie ja mal persönliche Referentin waren (siehe Steckbrief), anruft und fragt, ob es nach dem Aufstieg des Sportclubs noch mehr Zuschüsse als die elf Millionen Euro fürs neue Stadion gibt?
Sitzmann: Ich habe mich über den Wiederaufstieg riesig gefreut. Das ist echt verdient. Das Land unterstützt den SC beim Stadion schon kräftig …
 
chilli: … inwiefern spielt Freiburg für Sie als Finanzministerin eine besondere Rolle?
Sitzmann: Freiburg ist meine Heimat. Ich kam zum Studium und bin seither eng mit dieser Stadt verbunden, direkt gewählt in meinem Wahlkreis und werde auch in Freiburg wohnen bleiben.
 
chilli: Sie wohnen autofrei im Vauban, wie werden Sie Ihre Dienstfahrten als Ministerin absolvieren?
Sitzmann: Im Wahlkreis versuche ich, möglichst viele Termine mit dem E-Bike zu erledigen. Aber auch da geht es manchmal nicht ohne Auto. Wie alle Minister werde ich zu Terminen gefahren, laufe aber auch ganz gerne mal.
 
chilli: Frau Ministerin, vielen Dank für dieses Gespräch.
 
Text: Lars Bargmann / Foto: © Dennis Williamson
 
Steckbrief:
Edith Sitzmann wurde 1963 in Regensburg geboren und wuchs dort auch auf. Sie studierte Geschichte und Kunstgeschichte in Heidelberg und Freiburg. Nach dem Magisterabschluss blieb sie im Breisgau. Seit 1991 ist sie bei den Grünen, von 1993 bis 2001 war sie persönliche Referentin des grünen Landtagsabgeordneten Dieter Salomon. Seit 2002 sitzt sie selber im Landtag für den Wahlkreis Freiburg West. Von Mai 2006 bis Juni 2009 war sie Vize-Fraktionsvorsitzende. Im Juni 2009 wurde Sitzmann in den Freiburger Gemeinderat gewählt, aus dem sie im Mai 2011 ausschied, weil sie Fraktionsvorsitzende im Land wurde. Seit 12. Mai 2016 ist sie Finanzministerin.