Höhenflug ohne Beute: Der Freiburger Jörg Später hat auch ohne Buchpreis gewonnen STADTGEPLAUDER | 18.04.2017

Ende 2016 veröffentlichte der Freiburger Historiker Jörg Später ein Buch mit dem schlichten Titel „Siegfried Kracauer – Eine Biographie“. Anfang 2017 war es bereits für einen Literaturpreis nominiert: In der Kategorie Sachbuch/Essayistik des Preises der Leipziger Buchmesse erreichte das Buch, das sehr viel mehr ist als eine Biographie, die Runde der fünf Finalisten. Bei der Preisverleihung am 23. März ging der Autor zwar leer aus, hatte aber eine fantastische Zeit erlebt.

Für Jörg Später ist auch die Buchpreis-Nominierung seiner Kracauer-Biographie ein Gewinn.

Nach solchen Preisverleihungen wird in den Feuilletons über die Gewinner geschrieben, dass sie „zu Recht“ oder „verdient“ gekürt worden seien. Über die Verlierer wird hingegen fast kein Wort mehr verloren. Dabei hätte wohl jedes Buch, das so weit kommt, einen Preis verdient.

Das gilt auch für Jörg Späters Abhandlung über das ereignisreiche Leben und umfangreiche Werk von Siegfried Kracauer: Ihr kommt das preiswürdige Verdienst zu, einen der bedeutenden Intellektuellen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor der Vergessenheit bewahrt und dessen scharf­sichtige gesellschafts- und kulturpolitische Analysen und Theorien für heutige Menschen verständlich gemacht zu haben. Obendrein liefert der Freiburger eine fundierte Darstellung des historischen Kontexts: Lebens- und Zeitgeschichte beleuchten sich gegenseitig; es wird erkennbar, wie Sein Bewusstsein und Bewusstsein Sein prägen kann.

Dabei hat der 50-Jährige sein bestens recherchiertes, kenntnisreiches und trotz zahlreicher Originalzitate sehr verständlich geschriebenes Buch nicht einmal „für irgendeine Zielgruppe verfasst“, sondern für sich. Es hat ihn gereizt, das Leben Kracauers, dieses fast vergessenen promovierten Architekten und langjährigen Feuilletonisten und Filmkritikers der Frankfurter Zeitung, zu erforschen. Ein Leben, das 1889 in Frankfurt begann und 1966 in New York endete. Und zu dem fruchtbare philosophische und soziologische Lehr- und Bildungsjahre mit Wegbegleitern wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Walter Benjamin gehörten. Aber auch, gleich nach dem Reichstagsbrand 1933, die Flucht vor dem Nazi-Regime – und viele schwierige Jahre des Exils in den USA.

Jörg Später hat drei Jahre an dem Buch gearbeitet. Und diese, sagt er dem chilli, „gehören zu der besten Zeit“ seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn. Es sei „einfach fantastisch“ gewesen, sich so ausgiebig mit einem so großartigen Geist beschäftigen zu können. Da habe die Nominierung zudem noch „wie ein Höhenflug“ gewirkt. Obwohl diese „sicher auch ein Ziel“ seiner Arbeit war.

Und als es dann, nach den „spannenden und angespannten letzten Minuten“ vor der Verkündung des Gewinners nicht sein Name war, der genannt wurde, da war er „schon enttäuscht“. Und dieses Gefühl verflog auch nicht so schnell: Es dauerte „ungefähr 24 Stunden“, bis er sich „nicht mehr als Verlierer fühlte“. Bis er „es wieder klar hatte“, dass schon allein die Nominierung seines Erstlings ein Gewinn, eine ganz besondere Auszeichnung ist.

Text und Foto: Erika Weisser

Siegfried Kracauer
Eine Biographie von Jörg Später
Suhrkamp Verlag, 2016
744 Seiten, gebunden
Preis: 39,95 Euro