Mangelware Blutspende: Freiburg blutet aus STADTGEPLAUDER | 22.07.2016

Rund 16.000 Liter Blut oder 114 Badewannen fließen jedes Jahr in der Blutspendezentrale der Freiburger Uniklinik aus den Venen der Spender in durchsichtige Plastikbeutel. Zu wenig, um den Bedarf des Klinikums zu decken. Die Lage verschärft sich: Allein im ersten Halbjahr ist die Zahl der Neuspender um 15 Prozent auf 1800 zurückgegangen, seit Dezember 2015 verzeichnet die Blutbank einen permanenten Mangel an Konserven der seltenen Blutgruppe 0 negativ.

Markus Umhau, Ärztlicher Leiter der Blutspendezentrale, macht dafür unter anderem die strengen Restriktionen für Spender verantwortlich: So sind etwa Männer, die Sex mit Männern haben, oder Menschen, die in den vergangenen vier Monaten mit einem neuen Partner intim waren, von der Blutspende ausgenommen. Zu hoch sei das Risiko einer Aids-Infektion. Ein Unding, finden Verbände wie die Aidshilfe. Denn: Mit modernen Testverfahren lassen sich Infektionen wie HIV bereits nach wenigen Tagen feststellen. Die Dokumentation einer Blutspende bis an den Operationstisch.

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Montagmorgen, 9 Uhr. In der Blutspendezentrale der Uniklinik ist es ruhig. Die eben eingetroffenen Spender füllen hinter einem Sichtschutz einen Fragebogen aus. Dreißig Fragen gilt es zu beantworten, vom letzten Auslandsaufenthalt bis hin zu eingenommenen Medikamenten. Ein grüner Zettel liegt dem Fragebogen bei, der zusammenfasst, wer sich gleich wieder verabschieden kann: Personen, die in den vergangenen vier Monaten für Sex bezahlt haben. Frauen, die in diesem Zeitraum mit einem bisexuellen Mann intim waren. Männer, die schon einmal Sex mit einem anderen Mann hatten. Und alle, die in den vergangenen vier Monaten einen One-Night-Stand hatten.
„Gerade in einer Studentenstadt ist es doch bescheuert davon auszugehen, dass alle Singles in den letzten Monaten enthaltsam waren“, empört sich Umhau. „Ich weiß nicht, was sich der Gesetzgeber dabei gedacht hat.“ Die Erklärung ist schnell gefunden: Es ist die Angst vor Aids, die für die strengen Beschränkungen verantwortlich ist. Doch wer den Weg des Bluts verfolgt, merkt schnell, wie irrational diese Angst ist.

Für die Blutspender ist ihr Part schnell erledigt. Nach der Anmeldung mit Kontrolle des Fragebogens geht es ins Blutbildlabor. Ein Pieks in den Finger, um den Hämoglobinwert zu bestimmen, Puls-, Blutdruck- und Körpertemperaturmessung und schon hängt man an der Nadel. Eine Viertelstunde später ist der Beutel mit einem halben Liter dunkelrotem Blut prall gefüllt und der Spender macht sich mit 25 Euro mehr im Geldbeutel auf den Nachhauseweg.

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Für sein Blut beginnt jetzt die Reise. Ein paar Zimmer weiter stehen mehrere waschmaschinengroße Zentrifugen, in denen das Blut bei 3600 Umdrehungen pro Minute in drei Bestandteile aufgesplittet wird: Die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff im Körper transportieren, das hellgelbe Plasma, das für die Blutgerinnung, die Immunabwehr sowie den Stofftransport zuständig ist, und den sogenannten Buffy-Coat, eine trübe Flüssigkeit, aus der später die Blutplättchen gewonnen werden. Diese Plättchen – im Fachjargon Thrombozyten genannt – sorgen ebenfalls für die Blutgerinnung und Wundheilung.

Das Plasma wird bei minus 40 Grad eingefroren und mindestens so lange gelagert, bis der Spender ein weiteres Mal Blut gelassen hat. Erst wenn auch die zweite Blutspende desselben Spenders frei von Erregern ist, darf das Plasma verwendet werden.

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Eine Blutprobe wandert zusammen mit den anderen beiden Bestandteilen in die Blutbank der Uniklinik. Um Nebenwirkungen bei der Transfusion zu vermeiden, wird zunächst die Blutgruppe gecheckt. Sechs Merkmale nehmen Blutbankleiter Christian Schulz-Huotari und sein Team unter die Lupe, doch dass ein Patient Blut bekommt, das in all diesen Merkmalen für ihn ideal wäre, ist die Ausnahme.

So ist etwa Blut mit Rhesusfaktor negativ sehr knapp – nur 15 Prozent der Deutschen haben ihn –, sodass Patienten oft mit positivem Blut behandelt werden. In der Freiburger Uniklinik ist das momentan Usus: „Seit Dezember 2015 ist der Bestand des Rhesus negativen Bluts so niedrig, dass dauerhaft Patienten umgestellt werden müssen“, so Schulz-Huotari. „Anders würde die Klinik nicht aus dem Tief kommen.“ Ganz unproblematisch ist das nicht: Ein Patient, der Rhesus negativ ist, aber schon mal eine positive Konserve erhalten hat, kann Antikörper bilden und darf danach nur noch mit negativem Blut versorgt werden – ansonsten kann es lebensbedrohlich werden.

Ist die Blutgruppe bestimmt, wird die Probe auf HIV, Syphilis sowie Hepatitis A und C untersucht. Seit einigen Jahren ist dabei in Deutschland die hochsensitive PCR-Testung (Polymerase Chain Reaction) vorgeschrieben. In der Freiburger Blutbank wandert daher jede Probe in einen kleinwagengroßen, mit blauem Licht ausgeleuchteten Automaten, der eine HIV-Infektion bereits wenige Tage nach der Ansteckung nachweisen kann. „Die viermonatige Sperre bis zur Freigabe des quarantänegelagerten Plasmas ist damit vollkommen irrational“, moniert Schulz-Huotari. Er ist nicht der Einzige, der Kritik übt: Durch die genauen Testmethoden seien auch die Zulassungsbeschränkungen aufgrund des Sexualverhaltens „total überzogen“, findet Umhau.

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Wie gering die Ansteckungsgefahr ist, belegt auch die Statistik: Das Risiko, sich durch eine Blutspende mit HIV zu infizieren, liegt bei 1 zu 16 Millionen. Seit 1997 haben sich in Deutschland gerade einmal sechs Menschen angesteckt. Zum Vergleich: Die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden (1 zu 6 Millionen) oder ein Supermodel zu daten (1 zu 88.000) ist deutlich höher.

Wird eine HIV-Infektion erkannt, setzt der Automat ein Häkchen an die entsprechende Stelle des Ergebnisprotokolls – ein Ereignis, das Schulz-Huotari in seinen fünf Jahren als Blutbank-Leiter nicht einmal erlebt hat. Das mag auch an den rigiden Ausschlusskriterien liegen: „Risikogruppen“ wie Schwule sind in Deutschland generell von der Blutspende ausgeschlossen. Das hat einen Grund: Laut Robert Koch-Institut sind in Deutschland 83.400 Menschen mit HIV infiziert – über die Hälfte davon sind Männer, die Sex mit Männern haben.
Viele Homosexuelle fühlen sich dadurch ausgegrenzt. „Sie werden unter Generalverdacht gestellt“, empört sich Stefan Zimmermann von der AIDS-Hilfe Freiburg. „Man sollte generell nach den vergangenen Sexualkontakten fragen und jemanden nicht nach seiner sexuellen Identität, sondern nach seinem sexuellen Risikoverhalten filtern.“

Für Umhau sind die strengen Ausschlusskriterien einer der Gründe, warum nicht mehr gespendet wird: 120 Spenden pro Tag bräuchte die Uniklinik, um ihren Bedarf zu decken, das tatsächliche Spendenaufkommen liegt deutlich darunter: Im Schnitt sind es 88. Nicht nur in der Uniklinik geht die Zahl der Spender zurück, bundesweit ist das Spendenaufkommen seit 2011 von 4,9 auf 4,1 Millionen Spenden jährlich gesunken.

Die Klinik deckt den Bedarf, indem sie etwa vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) zukauft, das in Baden-Württemberg 90 Prozent des Bluts liefert. Doch auch dort kommt es zu Engpässen – vor allem in der Ferienzeit. „Letzten Sommer mussten wir einige geplante OPs absagen“, sagt Umhau.

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Der Ankauf ist zudem nicht günstig. So kostet etwa ein Blutplättchenbeutel laut chilli-Informationen 600 Euro – der Spender sieht davon nichts außer einer Aufwandsentschädigung von 25 Euro in der Uniklinik oder einer warmen Mahlzeit beim DRK.
Der große Reibach wird dennoch nicht gemacht. In Deutschland liege der Preis für Blut im europäischen Schnitt am unteren Ende der Skala, denn das DRK gebe die Konserven ausschließlich zum Selbstkostenpreis ab, so Stefanie Fritzsche, Pressesprecherin des regionalen DRK-Blutspendedienstes: „Alle Einnahmen dürfen allein der Finanzierung des Blutspendedienstes und der damit verbundenen Arbeit dienen.“

Auch die Uniklinik verkauft Blut an andere Kliniken, wenn diese einen Notfall haben. Am Verkauf von Plasma, das in die Industrie geht, wenn es in der Klinik nicht genutzt werden kann, verdient das Krankenhaus ebenfalls. Nach Abzug aller Kosten für die Lagerung und Aufbewahrung bleibe von dem Geld aber nicht mehr so viel hängen, so der Blutbank-Leiter. „Wir sind kein Goldesel für die Klinik“, bestätigt Umhau.
Braucht ein Patient Blut, werden die Blutkonserven in Kühlboxen mit dem Fahrrad durch die Klinik transportiert und gelangen so zum richtigen Empfänger. An diesem Tag ist das ein vierjähriger Junge. Seit dem frühen Morgen wird er unter Vollnarkose operiert, Kopf und Beine sind mit blauen Tüchern verhüllt, der Bauchraum klafft – von zwei Klammern gehalten – weit offen.

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Es ist viel los in Operationssaal Nummer Sechs: Vier Chirurgen beugen sich hochkonzentriert über die freigelegten Organe, mehrere OP-Schwestern assistieren, Kardiotechniker überwachen die Herz-Lungen-Maschine, ein Anästhesie-Facharzt behält die Vitalzeichen auf mehreren Monitoren im Auge. Das Team wird noch bis tief in die Nacht hier stehen, denn die Operation ist keine einfache: Der zu entfernende Tumor des Jungen zieht sich vom Bauch bis zum Hals und ist auch ins Herz eingewachsen. Das Risiko, dass Teile des Tumors vom Herzen aus ins Gehirn oder die Lunge wandern, ist hoch.

Umgeben ist der Tumor von vielen Blutgefäßen, die gekappt werden müssen. Ohne Blutverlust geht das nicht: Immer wieder ziehen die Ärzte blutige Bauchtücher und Tupfer aus der Wunde. Nachschub liefert eine Blutkonserve, die an einem Infusionsständer an der Herz-Lungenmaschine hängt. Abhängig von den Messwerten klemmt der Kardiotechniker die Zufuhr ab oder lässt das Blut schneller fließen.
Seine Arbeit ist eine Gratwanderung: Der Patient muss ausreichend mit den sauerstofftransportierenden roten Blutkörperchen versorgt werden und soll doch so wenig fremdes Blut wie möglich erhalten. Schließlich gilt es nicht nur, ein knappes Gut zu schonen: Jede Blutgabe birgt auch immer das Risiko einer Unverträglichkeit oder Allergie. „Blutverlust kann zu einem erstaunlich hohen Anteil kompensiert werden“, erklärt Hartmut Bürkle, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, warum der Blutverlust höher sein kann als die Blutgabe. „Etwa die Hälfte bis drei Viertel seines Blutes kann ein Patient unter Narkose problemlos verlieren, wenn die Flüssigkeit ausgeglichen wird.“

Natürlich kommt es auch mal zu unvorhergesehenen Blutverlusten – etwa, wenn die Blutung der Gefäße nicht wie geplant gestoppt werden kann. Bei dem jungen Patienten ist die Gefahr gering, weiß Bürkle. Dennoch: „Jeder lebt davon, dass andere Blut spenden“, mahnt er. „Schließlich weiß man nie, ob man nicht selbst mal auf dem Operationstisch landet.“

Spender gesucht! Besonders dringend momentan: die Blutgruppen Null negativ, Null positiv und A negativ. Alle Infos gibt’s auf: www.blutspende-uniklinik.de

Text: Tanja Bruckert & Valérie Baumanns, Fotos: © tln, tbr