Mit Haut und Haar: Polizei und Land fordern tiefere Einblicke in Täter-DNA STADTGEPLAUDER | 09.02.2017

Navi-Daten, GPS-Signale, Videoaufnahmen – jeder Mensch hinterlässt täglich hunderte von Spuren. Spuren, die Ermittler bei Mord oder Vergewaltigung nutzen könnten, um die Täter ausfindig zu machen. Theoretisch. Praktisch schiebt jedoch der Datenschutz meist schnell einen Riegel vor. Zumindest in Sachen Erbgut-Analyse könnte bald frischer Wind in die Strafverfolgung kommen: Auswertungen, die in den Niederlanden oder den USA an der Tagesordnung sind, könnten bald auch in Deutschland Einzug halten – zumindest, wenn es nach der grün-schwarzen Landesregierung geht.

Die Polizei findet eine ermordete Frau in einem Stadtpark. Die DNA-Analyse zeigt: Der Täter ist blond, hat braune Augen, ist 1,80 Meter groß, 40 Jahre alt und stammt aus Mitteleuropa. Die Aufzeichnungen der Kameras, die den Park rund um die Uhr überwachen, zeigen einen Mann, auf den die Beschreibung passt, vom Tatort zu einem Auto gehen. Dank der Sensordaten, die jedes „Connected Car“ an den Hersteller sendet, können die Ermittler den Wagen problemlos orten. Als der Täter aussteigt, zeigt das GPS seines Handys seinen weiteren Fußweg an. Wenig später sitzt der Mörder hinter Gittern. Sieht so die Mordermittlung der Zukunft aus?

clipdealer.de

Tatsächlich ist die Technik längst so weit: Über Navi, Entertainmentsystem oder Diebstahlschutz ist das Orten des Autos und das Mitschneiden von Gesprächen im Fahrzeug kein Problem mehr. Gleichzeitig zeichnet das iPhone rund um die Uhr auf, wann und wie lange sein Besitzer an welchen Orten verweilt. Und der Fernzugriff auf die Festplatten fremder Computer stellt heutzutage keinen IT-Profi mehr vor eine Herausforderung. Doch was davon muss wegen des Datenschutzes unter Verschluss bleiben? Was sollte zumindest für die Aufklärung von Kapitalverbrechen genutzt werden?

 
Mit dieser Frage beschäftigt sich aktuell auch die baden-württembergische Landesregierung. Nach dem Mord an Maria L. hatte etwa das Landeskriminalamt (LKA) gefordert, dass Ermittler mögliche Täter-DNA auch nach Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie dem Alter auswerten dürfen. Einen dementsprechenden Vorschlag bringt die grün-schwarze Koalition nun am 10. Februar in den Bundesrat ein. Bisher war es deutschen Ermittlern nur erlaubt, das Geschlecht und die Identität des Täters anhand der DNA-Spuren am Tatort zu ermitteln (siehe Infokasten am Ende des Artikels).

 
Der Vorstoß, der auf eine Initiative von Justizminister Guido Wolf (CDU) zurückgeht, findet in den Reihen der Polizei viele Unterstützer. LKA-Chef Ralf Michelfelder hatte bereits im Dezember mit Blick auf den Freiburg-Mord gegenüber der DPA erläutert, dass durch die DNA-Auswertung viele Unverdächtige geschont werden können: „Wir könnten Zeit sparen, wenn im Einzelfall beispielsweise kein Massen-Gentest mehr nötig wäre.“ Auf chilli-Anfrage teilte er mit, dass man die Initiative „sehr begrüße“.

 
Auch der Freiburger Polizeichef Bernhard Rotzinger hätte bei den Ermittlungen gerne auf die Methoden zurückgegriffen: „Wenn wir gewusst hätten, ob wir einen 20-jährigen Schwarzafrikaner oder einen 50-jährigen Kaiserstühler suchen, hätte uns das enorm weitergeholfen.“ Kritik übt er hingegen an der von den Grünen geforderten Einschränkung, dass das Auslesen der Herkunft weiterhin tabu bleiben soll. „Ich begrüße den Vorstoß, bedauere aber, dass man den wichtigen Fahndungsansatz der biogeografischen Herkunft unberücksichtigt lässt“, so Rotzinger. „Dieser würde uns bei zielgerichteten Fahndungsmaßnahmen sehr helfen.“

Daten_q_Pixabay

Grünen-Rechtsexperte Jürgen Filius sieht in dieser Auswertung hingegen ein Risiko: „Aus der DNA lassen sich für die meisten Teile der Welt lediglich kontinentspezifische Aussagen treffen. Diese Informationen sind anfällig für Fehlinterpretationen.“ So könnten Wanderungsbewegungen von Bevölkerungsgruppen und Neuansiedlungen ursprüngliche Herkunftsbeziehungen überlagern, erläutert er gegenüber dem chilli. Auch die Freiburger Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae (Grüne) zeigt sich froh, dass die Bundesratsinitiative „hier Augenmaß beweist“: „Bei der Frage der Herkunft kommt die DNA-Analyse an ihre Grenzen, sowohl technisch als auch verfassungsrechtlich.“

 
Den Durchbruch im Fall Maria L. hatte dann auch nicht die DNA-Auswertung gebracht, sondern eine Videoaufnahme in der Straßenbahn, die den vermutlichen Täter zeigt. Ebenfalls zu sehen: eine dunkelhaarige Frau, die neben dem Verdächtigen gesessen und dann den Platz gewechselt hat.

 
Da die Zeugin nicht ausfindig gemacht werden konnte, hat das Amtsgericht Freiburg die Veröffentlichung der Bilder erlaubt – allerdings nur in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung und der Wochenzeitung „Der Sonntag“. Andere lokale Medien wie das chilli, der Stadtkurier oder der Wochenbericht hatten das Fahndungsbild nicht erhalten. Eine Entscheidung im Sinne des Datenschutzes oder ein Einschnitt in die Pressefreiheit? Für die Staatsanwaltschaft sei die Auswahl der Medien eine „Frage der Verhältnismäßigkeit“ gewesen, so Staatsanwalt Ralf Langenbach. Man habe es erst mal in den lokalen Medien versucht, bevor man das Bild überregional herausgegeben oder gar quasi weltweit im Internet verbreitet hätte.

camera2_q-pixabay

Laut Strafprozessordnung ist die Veröffentlichung eines Zeugenbilds dann zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung ist und die Zeugensuche auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Wie genau das im Einzelfall aussieht, sei Ermessenssache, so Langenbach. In diesem Fall hatten die Fahnder Erfolg: Die Zeugin hat sich nach dem Zeitungsaufruf gemeldet.

 
Während Videoaufnahmen in Bus und Bahn zulässig sind, ist eine Kameraüberwachung im öffentlichen Raum nur eingeschränkt möglich. So filmt die Freiburger Verkehrs AG (VAG) etwa auch am Bertoldsbrunnen, allerdings mit so geringer Auflösung, dass keine Identifizierung der aufgezeichneten Personen möglich ist. Diese Einschränkung musste der Verkehrsbetrieb 2010 nachträglich vornehmen, nachdem das Innenministerium Bedenken angemeldet hatte.

 
Auch eine neugegründete Arbeitsgruppe im Rathaus, die seit Januar Lösungen sucht, wie das Sicherheitsgefühl in Freiburg verbessert werden kann, prüft das Thema Videoüberwachung – allerdings daraufhin, ob noch Luft nach oben ist. So könnten Kameras etwa eingesetzt werden, um Brennpunkte wie den Stühlinger Kirchplatz oder den Colombipark zu überwachen. Erste Ergebnisse werden im März erwartet.

Bei der Polizei begrüße man es, wenn Gemeinde und Städte über solche Maßnahmen nachdenken, sagt Polizei-Pressesprecherin Laura Riske. Man habe auch den Eindruck, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Videoüberwachung steige: „Die Stimmung ist momentan so, dass sich die Menschen dadurch nicht ausspioniert, sondern sicherer fühlen.“

Rechtsanwalt und Linken-Fraktionsvorsitzender Michael Moos warnt hingegen davor, den Datenschutz durch Gesetzesänderungen immer weiter einzudämmen: „Geht man von dem Schreckensszenario des gläsernen Menschen aus, muss man jeden Schritt in diese Richtung sehr genau unter die Lupe nehmen.“

Autobahn_q_Pixabay

Solch ein Schritt wäre etwa auch die Auswertung von Mautdaten – eine Diskussion, die im Endinger Mordfall von Carolin G. aufgekommen ist. Kriminaltechnische Abgleiche haben hier ergeben, dass der Mörder vor drei Jahren wahrscheinlich schon eine andere junge Frau im österreichischen Kufstein getötet hatte. Die Tatwaffe sei damals eine Eisenstange gewesen, die etwa zum Abkippen von LKW-Führerkabinen benutzt wird. Sollte der Mörder ein Lastwagenfahrer sein, könnten die Mautdaten der Autobahn bei Endingen bei der Fahndung helfen. Doch hier schiebt der Gesetzgeber einen Riegel vor: Die Infos, welcher LKW die Autobahn wann und wo befahren hat, dürfen zwar genutzt werden, um sündige Mautzahler zu überführen, nicht aber, um Mörder dingfest zu machen.

 
Für Jürgen Filius ein sinnvolles Gesetz, das die „anlasslose Vorratsdatenspeicherung der Bewegung aller Autofahrer“ verhindere. Eine neue politische Initiative sei daher auch „nicht in Sicht“, so der Grünen-Rechtsexperte. Obwohl sich Polizeibehörden von Bund und Land in den vergangenen Jahren immer wieder für eine Gesetzesänderung ausgesprochen haben, ist bisher jeder Vorstoß gescheitert. 2005, als ein Parkplatzwächter von einem LKW überrollt und getötet wurde, hätte der Fluchtweg mit Hilfe der Mautdaten rekonstruiert werden können. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollte sich des Problems annehmen – ohne Erfolg. Aufgenommen wurde die Diskussion auch 2013 wieder, als ein Schütze eine Serie von Schüssen auf der Autobahn abgegeben hatte. Auch damals misslang ein Vorstoß des Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU).

 
Ob die Mautdaten im Fall des Endinger Mordes überhaupt zur Aufklärung beitragen könnten, ist allerdings fraglich. „Die Daten bringen nichts“, sagt Polizei-Pressesprecher Dietmar Ernst, „wenn man nicht weiß, nach was man sucht. Dafür braucht man ein konkretes Zeitfenster und man muss wissen, nach was für einem Fahrzeug man Ausschau hält.“ Denn bislang sei längst nicht sicher, ob der Täter tatsächlich ein Lastwagenfahrer war. „Da nach dem Gießkannenprinzip drüber zu gehen, ist nicht nur rechtlich verboten“, stellt Ernst klar. „Es bringt auch nichts.“

Phantombild per DNA: Noch stößt die Erbgut-Analyse an ihre Grenzen

In Deutschland darf die DNA eines Täters zur Verbrechensaufklärung analysiert werden – allerdings nur in Hinblick auf Geschlecht und zur Feststellung der Identität. In anderen Ländern ist man da schon weiter: In den Niederlanden und den USA darf die DNA bereits auf Haar-, Haut- und Augenfarbe untersucht werden. Auch in der Schweiz wird gerade an einer Ausweitung bei Kapitalverbrechen gearbeitet.

 
Fehlerfrei sind die Methoden allerdings nicht: So haben die in den Niederlanden durchgeführten DNA-Auswertungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 94 Prozent die Augenfarbe ermittelt, bei der Haarfarbe sank die Trefferquote bereits auf 80 Prozent.

 
Die Forschung arbeitet auf Hochtouren: Bald könnten Gene ein besseres Phantombild liefern als jeder Augenzeuge. Die US-Firma Parabon Nanolabs behauptet, schon heute so weit zu sein. Auf ihrer Website zeigt sie durch DNA-Analyse erstellte Phantombilder, die den Originalbildern tatsächlich recht nah kommen. Über die genauen Methoden schweigt sich das Unternehmen allerdings aus.

 
Experten zeigen sich daher skeptisch. So ist man an der Pennsylvania University gerade einmal so weit, dass man ein „Basisgesicht“ etwa für einen Mitteleuropäer oder einen Schwarzafrikaner erstellen kann.

Text: Tanja Bruckert / Bilder: Clipdealer, Pixabay