Mit Streich überm Strich: Der Sportclub braucht in der Hinrunde lange, um sein Spiel zu finden Sport | 30.01.2018 | Philip Thomas

Acht Punkte nach zwölf Spielen und die Schießbude der Liga: Der Fußball-Bundesligist SC Freiburg hat seine abgesprungenen Leistungsträger in der ersten Saisonhälfte schmerzlich vermisst. Um auf dem Transfermarkt Ersatz zu finden, agierte die Vereinsführung zaghaft.

Auch deswegen fehlte es dem Sportclub an Konstanz und Konzentration und man ließ sich in der Hinrunde zu oft überrumpeln. Dass die Weiß-Roten dann bärenstark in die Rückrunde starten, verdanken sie einem ruhigen Umfeld und vielen ruhenden Bällen.

Selten ist der SC Freiburg so erfolglos in eine Saison gestartet wie in diese: Die Breisgauer schieden in der Europa-­League-Qualifikation gegen den slowenischen Fußballzwerg NK Domzale aus. Die Abgänge von Vincenzo Grifo und 20-Millionen-Mann Maximilian Philipp, die maßgeblich am Erfolg der Vorsaison beteiligt waren, wurden nicht kompensiert, weil den Verantwortlichen der Markt zu heiß war. Der erste Saisonsieg am 7. Spieltag gegen Hoffenheim wirkte in dieser schweren Zeit fast wie ein Störfeuer. Einzig die Vertragsverlängerung von Cheftrainer Christan Streich ließ die Fans jubeln. Experten wie Lothar Matthäus prophezeiten dem SC eine Saison ständig im Abstiegskampf.

Zumindest auf dem Papier zeichnete sich Freiburg in der Hinrunde durch taktische Vielfalt aus und orientierte sich stets an seinen Gegnern. Trotzdem verpasste die Mannschaft mit 31 Gegentoren den Hinrunden-Negativrekord aus Köln nur um einen Treffer. Sowohl als klassische Viererkette als auch als Dreier- beziehungsweise Fünferkette um den eigenen Strafraum herum war die Abwehr über weite Strecken überfordert und wurde vom Mittelfeld zu oft im Stich gelassen. Auf der anderen Seite des Platzes wirkte das Freiburger Spiel in der Offensive mit einem oder zwei Stürmern oft hastig, bisweilen kopflos und war im Aufbau immer wieder auf lange, nicht immer präzise Bälle angewiesen. Wie ungefährlich der Freiburger Angriff ist, konnte jeder im Schwarzwald-Stadion beim Spiel gegen den HSV sehen. Nach der torlosen Begegnung ohne echte Chancen saß Streich im kleinen Freiburger Presseraum und war sichtlich niedergeschlagen: „Das ist sehr, sehr schade, weil die Jungs so viel Aufwand betreiben.“ Sollte der SC dann doch mal ein Tor schießen, verlor die Mannschaft schnell die Balance und ließ das Spiel zu ihren Ungunsten kippen, wie gegen Wolfsburg oder Berlin.

 

Statt jedoch in Panik zu verfallen, blieb der Club abseits des Platzes besonnen und strahlte in schwierigen Zeiten vom Zeugwart bis zum Mittelstürmer jene Ruhe aus, die man sich in den Fußballmetropolen Hamburg und Köln so sehr wünscht. Gestört wurde dieser Frieden nur von der Willkür des Videobeweises. Als es im wichtigen Spiel gegen Stuttgart mit einer Minute Verspätung eine aberwitzige Rote Karte für den völlig verdatterten Çaglar Söyüncü gab, machte Streich seinem Ärger Luft: „Ich verstehe nicht, was mit uns gemacht wird. Ich bin fassungslos.“ Dem Fußballlehrer war die Frustration nach dem Tiefpunkt der Saison deutlich anzumerken. Der kleine Fisch schwamm ein bisschen mutlos im Haifischbecken der Bundesliga. Die Trendwende war das Spiel gegen Köln. Nach nur zwei Siegen aus 14 Spielen und dem Ausfall von Leistungsträger Florian Niederlechner auf unbestimmte Zeit, stand der SC gegen das Tabellenschlusslicht gehörig unter Druck. Auch weil der 1. FC Köln nach der Nibelungentreue zu seinem angezählten Cheftrainer Peter Stöger ausgerechnet das Heimspiel gegen Freiburg als den Zeitpunkt ausmachte, Stöger zu entlassen und einen Neuanfang gegen den direkten Konkurrenten im Abstiegskampf zu wagen. Dieser Plan sollte bis zur 38. Minute auch aufgehen, als die totgesagten Kölner mit drei Toren in Führung lagen. Nils Petersen gab nach einer wilden Aufholjagd und seinem Hattrick im rheinischen Schneetreiben zu: „Nach dem 3:0 waren die Köpfe weit unten.“ Dort wären sie wohl auch heute noch, wenn es eine völlig demoralisierte Kölner Mannschaft nicht mit der Angst zu tun bekommen hätte. Köln überließ Freiburg das Spiel und vielleicht den Klassenerhalt. Lange Zeit sah es so aus, als würde Matthäus Recht behalten.

Aber dann eilte der Club von Punkt zu Punkt und blieb acht Spiele in Folge ungeschlagen. Streich weiß, wie er die zuweilen etwas schmeichelhaften Siege richtig einordnen muss. Die Tabelle lügt nicht, aber sie täuschte nach dem Remis in Dortmund ein bisschen darüber hinweg, dass die Mannschaft es selten schaffte, gute Chancen aus dem Spiel heraus zu kreieren: Für das Comeback in Köln waren zwei Elfmeter notwendig. Beim Heimsieg gegen schwächelnde Gladbacher musste Petersen aus elf Metern erneut Nervenstärke beweisen. Und dem Überraschungssieg über Leipzig lagen ebenfalls bloß ruhende Bälle zu Grunde. In Dortmund aber, wo die Freiburger auch einen Sieg verdient gehabt hätten, traf Nils Petersen gleich dopppelt – ohne Standards.

Pechvogel: Niederlechner (7) brach sich Anfang November die Kniescheibe und fehlt seither.

Lange genug waren potentielle Leistungsträger hinter den Erwartungen zurückgeblieben oder wurden durch Verletzungen immer wieder ausgebremst. Zwar kämpfte die junge Mannschaft für ihre Fähigkeiten standesgemäß und verschob mit dem zweithöchsten Laufpensum der Liga aufopferungsvoll gegen den Ball, dennoch waren Defizite in der Defensive offensichtlich und Freiburg in der Ferne ein gern gesehener Gast. SC-Präsident Fritz Keller lehnt die Rolle des kleinen Fisches mittlerweile trotzdem ab: „Wir sind keine kleine Sardine mehr im Haifischbecken, sondern ein Tümmler“, sagte er der Bild-Zeitung nach der Hinrunde.

Insgesamt ist die Leistung nach einer langen Findungsphase mittlerweile beachtlich. Zusammengehalten wird dieser Verein durch seinen Trainer. Sogar Matthias „Motzki“ Sammer geriet in seinen berüchtigten Freitagsanalysen über den SC Freiburg und Christian Streich ins Schwärmen: „Möge diese Story noch sehr, sehr lange gehen. Das ist ein starkes Stück Bundesliga.“ Und der SC nach dem Erfolg beim BVB neben den Bayern die Mannschaft der Stunde.

Fotos: © Neithard Schleier