Platz der Alten Synagoge entfacht Debatte über Erinnerungskultur STADTGEPLAUDER | 22.08.2017

Der neu eröffnete Platz der Alten Synagoge hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Der Grund: Spielende Kinder und herumtollende Hunde. Und zwar im Wasserbecken, das an die Zerstörung der Alten Synagoge durch die Nazis erinnern soll. Während die einen das Mahnmal – im wahrsten Sinne des Wortes – mit Füßen getreten sehen, plädieren die anderen für einen lebendigen Platz. Dabei ist gerade die Diskussion der beste Weg, um das Gedenken lebendig zu halten.

Freitagabend. Der Platz der Alten Synagoge ist zwei Tage alt. Die Betriebsamkeit der Bagger wurde vom Gewusel der Menschen abgelöst. Die Freiburger mögen ihre neue Stadtmitte. Die Sonne ist kaum untergegangen, da tanzen blaue, rote und grüne Lichter über den Platz. Sie erinnern an große, bunte Glühwürmchen. Es sind die leuchtenden Kopfhörer, die der Australier Nathan Thurlow verteilt. Mit seiner Silent Party ist er seit einem guten Jahr in Freiburg unterwegs. An diesem Abend zum ersten Mal auf dem Platz der Alten Synagoge. Zu drei verschiedenen Musikrichtungen, die nur sie hören können, tanzen die Kopfhörerträger über den Platz. Und durch den Brunnen.

Im Umriss der von den Nazis niedergebrannten Synagoge spiegeln sich die Lichter der Uni-Bib – verzerrt und durchbrochen, überall dort, wo nackte Füße im Rhythmus des Beats Wellen schlagen. An diesem Abend scheint niemand sich etwas dabei zu denken. Wenn doch, behält er seine Meinung für sich.

Dabei war es dieser Tage eines der liebsten Diskussionsthemen der Freiburger: Darf man in einem Mahnmal – das dieses Wasserbecken nun einmal ist – plantschen, waten und mit den Füßen wackeln? Dürfen kleine Kinder in Windeln durch das Nass rennen, Studenten ihre Campingstühle aufstellen?

Natürlich, sagen die einen. Welch einen besseren Gegensatz zu den damaligen Schrecken gibt es, als lachende Kinder oder Studenten jeder Nation und Religion, die gemeinsam feiern? Respektlos, sagen die anderen. Man müsse den Platz zur Besinnung bewahren.

Die Diskussion würde nicht so heftig geführt, wenn nicht beide Seiten Recht hätten. In einer Zeit, in der die Welt nach rechts zu driften scheint, ist es dringend nötig, dass wir uns unsere Geschichte immer wieder vergegenwärtigen. Die AfD will die Erinnerungskultur abschaffen. Doch es geht nicht um das bloße Erinnern. Es geht darum, von der Vergangenheit zu lernen.

Aus dem Platz ein ödes, stilles Lehrzimmer zu machen, würde nicht nur scheitern, es würde auch nichts bringen. Wie viel unseres Wissens über die NS-Zeit haben wir tatsächlich aus dem staubigen Klassenzimmer und wie viel aus Dokumentationen, Ausstellungen, Spielfilmen, Theaterstücken, Gesprächen oder Besichtigungen?

Wer schon einmal auf einem der Soldatenfriedhöfe in der Normandie war, kennt dieses Bild wahrscheinlich: Reihe um Reihe weiße marmorne Kreuze auf sattgrünem Rasen. Dahinter das azurblaue Meer. Das Schreien der Möwen. Der Duft der Zedern. Es ist der Gegensatz dieser lebendigen Schönheit der Natur zu der unfassbar grausamen Zahl der Gräber, die einen dieses Bild nicht mehr vergessen lässt.

Warum hatte der Berliner Satiriker Shahak Shapira mit seinem Yolocaust mehr als zweieinhalb Millionen Menschen erreicht? Weil der Gegensatz aus fröhlichen Selfie-Fotografien am Berliner Holocaust-Mahnmal, kopiert in Bilder von Vernichtungslagern, schockiert. Mehr, als es die grausigen Schwarz-Weiß-Bilder allein vermögen. Freiburg ist nicht die erste Stadt, die sich fragt, wie viel Fröhlichkeit an einem Mahnmal zulässig ist.

Solch ein Mal steht beispielhaft für all die Orte, an denen gemahnt werden muss. Denn wir haben zu viele von diesen Orten, um an jedem ein großes Bauwerk anbringen zu können. Male finden sich in Freiburg daher vor allem im Kleinen, in Form der sogenannten Stolpersteine. Diese Steine erinnern an das Schicksal von Menschen, die während des Nazi-Terrors verhaftet, deportiert und ermordet wurden.

Der Name macht die Idee klar: Man soll nicht still vor den goldenen Plättchen stehen, man soll – zumindest gedanklich – über sie stolpern. Beim Spazieren, beim Bummeln, beim Eisessen. Die Stellen wollen uns kurz aus der Gegenwart herausreißen. Ebenso wie die Gedenktafel im Brunnen den einen oder anderen aus dem Tanzen hinausreißen mag, wenn er die Buchstaben mit den nackten Zehen streift.

Die Tanzenden, Spielenden und Plantschenden halten die Diskussion und damit das Gedenken lebendig. Familien unterhalten sich über die spielenden Kleinkinder im Brunnen. Stadträte streiten sich über die Umbenennung in „Platz der Zerstörten Synagoge“. Die Jüdische Gemeinde empört sich über den Umgang mit den gefundenen Mauerresten. Die Medien machen die Positionen öffentlich.

Rund eine Woche nach seiner Eröffnung liegt der Platz ruhig da. 17 Grad und Nieselregen machen Freiburgs jüngstes Freibad unattraktiv. Die Debatten sind langsam am verklingen. Herbst und Winter werden die erregten Gemüter abkühlen. Die Freiburger werden sich an eine ruhige, ungetrübte Wasserfläche auf ihrem Mahnmal gewöhnen.

Bis sich im Frühjahr wieder die ersten warmen Sonnenstrahlen zeigen. Bis die erste Kopfhörer-Party steigt, die ersten Menschen ihre Zehen ins Wasser halten. Dann werden die Diskussionen wieder neu hochkochen. Und das ist gut so. Denn sie werden uns wieder und wieder an die Bedeutung von Freiburgs neuer Mitte erinnern, wie es keine Gedenktafel je schaffen könnte.

Text und Fotos: Tanja Senn

Info

Die Alte Synagoge wurde 1869/70 erbaut. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten sie Männer der SS und SA nieder. Die Feuerwehr erhielt Anweisung, den Brand nicht zu löschen. In derselben Nacht wurden im gesamten Deutschen Reich Synagogen, Gebetsstuben, Geschäfte und Wohnungen jüdischer Familien zerstört. Ein Wettbewerb im Jahr 2006 bildete die Grundlage für die Umgestaltung des Platzes. Der Spatenstich erfolgte am 18. April 2016. Nach 16 Monaten Bauzeit wurde der 9,3 Millionen Euro teure Platz am 2. August eröffnet. Mit 130 mal 130 Metern ist er Freiburgs zweitgrößter Platz.