Potenziale und Protest: Planspiele gegen Wohnungsnot SPECIALS | 17.07.2016

Südbaden in Not: Um dem Siedlungsdruck zu begegnen, planen viele Städte neue Wohnungsbaugebiete. In Emmendingen ist das so umstritten, dass am 17. Juli die Bürger über das neue Baugebiet Haselwald-Spitzmatten entscheiden, in Freiburg ist der neue Stadtteil Dietenbach bereits mehrheitsfähig, zuvor aber kommt plötzlich eine Fläche für 1000 Wohnungen am Rande von Zähringen aufs Tapet. Derweil haben sich die Bewohner des Quartiers Metzgergrün selber an die Planung gemacht. Ein einmaliger Vorgang. So könnten auch im Stühlinger 260 neue Wohnungen entstehen.

Luftaufnahme Haselwald-Spitzmatten Emmendingen

Umstritten: Ob das Gebiet Haselwald-Spitzmatten in Emmendingen als Wohnbauland ausgewiesen wird, entscheiden am 17. Juli die Bürger.

Der Emmendinger Oberbürgermeister Stefan Schlatterer (CDU) plädiert für das neue Gebiet, weil mit Nachverdichtung allein der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung (in den nächsten fünf Jahren plus 3700 Menschen) nicht begegnet werden könne. Aber in der großen Kreisstadt gibt es ein Hauen und Stechen um das 23 Fußballfelder große Areal, auf dem bis zu 1000 Wohnungen gebaut werden könnten. Planerische K.o.-Kriterien gibt es offenbar nicht. Eine Bürgerinitiative und andere wehren sich aber gegen den Zubau und die Versiegelung der Flächen zwischen dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus und der Bahnlinie. Und: Wenn dort gebaut würde, müsste an anderen Stellen im Flächennutzungsplan gespart werden. Zwei Drittel des Areals gehören dem Land, anders als im Freiburger Dietenbach, wo es 390 private Eigentümer gibt.

Durchaus überraschend kam in Freiburg unlängst eine etwa 50 Fußballfelder große Fläche am Rand von Zähringen, links und rechts der Gundelfinger Straße, ins Spiel, auf der etwa der Real-Markt – vor allem der raumgreifende Parkplatz –, das Möbelhaus Mömax und ein kleines Wäldchen liegen. Auch hier wären wohl 1000 Wohnungen möglich, auch wenn die Kleingärten im Gewann Höfle bleiben sollen. Der Gemeinderat hat im Juni bereits 200.000 Euro für ein „kooperatives Entwicklungsverfahren“ bewilligt, das ein externes Büro auf die Beine stellen soll.

Ein „Lichtblick für viele Wohnungssuchende“ und ein wertvoller Beitrag zur Entschärfung des Wohnungsmangels, so Grünen-Stadtrat Eckart Friebis. Großflächige, asphaltierte Autoparkplätze würden „jedenfalls keine Zukunft mehr haben“, unverzichtbare Stellplätze seien in Tiefgaragen oder Parkpaletten nachzuweisen. Die versiegelten Flächen könnten als Baugrundstücke für Wohn-, Büro- und Gewerbegebäude sowie attraktive Grün- und Freiflächen umgewandelt werden.

Im Plangebiet liegt auch Längenloh-Nord, wo gerade Unterkünfte für Flüchtlinge gebaut wurden, und der Bereich zwischen dem Park&Ride-Parkplatz an der Wendeschleife der Tram und dem Real-Markt, die als erste in Angriff genommen werden sollen. Längenloh ist eine von fünf Flächen, die schon aus dem Perspektivplan vorgezogen wurden (wir berichteten), der insgesamt ein Potenzial von 7000 Wohnungen aufzeigen soll. Das wäre beeindruckend.

In heute schon beeindruckender Manier haben sich die Bewohner des Stühlinger Quartiers Metzgergrün engagiert. Denn der Quartiersrat „Untere Ferdinand-Weiß-Straße“ hat einfach mal selber eine Machbarkeitsstudie zur Nachverdichtung des Viertels in Auftrag gegeben. Ein einmaliger Vorgang in Freiburg: Denn die vielfach geübte und daher zuverlässig erwartbare Reaktion der Anwohner auf Baupläne im eigenen Viertel sind die Barrikaden. „Ich finde es sensationell, dass die Bewohner hier ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen“, sagte Bau-Bürgermeister Martin Haag unlängst vor Journalisten. Widerspruch gab es keinen.

Metzgergrün im Stühlinger

Metzgergrün in Freiburg: Dass sich im Stühlinger der Quartiersrat selber für eine Nachverdichtung engagiert, ist in Freiburg einmalig. Im rot umrandeten Plangebiet liegt auch der Caravan-Stellplatz, der nach Lehen verlegt werden soll. Allein auf dem könnten 120 Wohnungen gebaut werden.

Der vom Rat beauftragte Architekt Reiner Probst erläuterte die Ziele seiner Studie, nach der die Struktur des Quartiers und auch die Bewohnerstruktur erhalten werden soll. Heute gibt es im Metzgergrün in 27 Gebäuden 252 Wohnungen mit rund 44 Quadratmetern – mit meistens vier Zimmern. Gebaut 1952 in zweigeschossigen Gebäuden. Ein Umbau ist nicht zuletzt wegen heutiger Anforderungen an die Erdbebensicherheit, an Brand- und Schallschutz zwecklos.

Eigentümerin ist die Freiburger Stadtbau GmbH (FSB). Das Konzept sieht Richtung Güterbahnlinie höhere Gebäude für den Geschosswohnungsbau vor, eine neue grüne Mitte mit umgeleitetem Bachlauf, allein 120 neue Wohnungen auf dem heutigen Caravan-Stellplatz (der ins Neubaugebiet Zinklern nach Lehen verlegt werden soll), 140 weitere im Quartier, wo die noch nicht einstürzenden Altbauten peu à peu durch zeitgemäße Neubauten ersetzt werden könnten. Gibt es heute 10.000 Quadratmeter Wohnraum, könnten es am Ende des Prozesses 30.000 sein.

Neues Rathaus Stühlinger

Neues Rathaus: Auch am neuen Rathaus im Stühlinger könnten rund ums zweite Oval für die Verwaltung 400 Wohnungen entstehen.

„Wir waren sehr froh über den planerischen Ansatz, der nun eingebettet wird in ein größeres Ganzes“, sagte Stadtplanungsamtschef Roland Jerusalem. Wenn es nach FSB-Geschäftsführer Ralf Klausmann geht, könnte der Gemeinderat im November schon einen Planungsbeschluss fassen. Danach würde die Stadtbau mehrere Architektenbüros beauftragen, die beste Lösung zu entwickeln. Der Quartiersrat soll auch hierbei weiter eng eingebunden werden. Ob von den neuen Wohnungen 50 Prozent im sozialen Mietwohnungsbau erstellt würden, was ein Gemeinderatsbeschluss fordert, wollte Klausmann noch nicht sagen: „Man muss sehen, wie zu gegebener Zeit die Förderbedingungen aussehen.“ Wer aber in der Siedlung bleiben wolle, der könne das auch. Der Quartiersrat berichtete auch von den Ängsten der Bewohner, nach der Entwicklung wieder bezahlbaren Wohnraum zu bekommen. „Wir haben in der Berliner Allee neu gebaut“ sagte Klausmann, „und vermieten für 6,50 Euro.“

Am 17. Juli 2016 wird in Emmendingen per Bürgerentscheid entschieden, ob Projekt Baugebiet Haselwald-Spitzmatten realisiert werden soll oder nicht.

Text: Lars Bargmann / Fotos: © Stadt Freiburg & Ingenhoven