Protest im Puff: Kritik gegen das geplante Prostituiertenschutzgesetz STADTGEPLAUDER | 20.04.2016

Kondompflicht, Verbot von Flatrate-Angeboten, Registrierungspflicht für Prostituierte: Das Bundeskabinett hat Ende März das neue Prostituiertenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Ab Juli 2017 soll es das bisher für das Gewerbe geltende Gesetz ergänzen. Während der Freiburger Hauptkriminalkommissar Walter Martin die geplanten Regelungen begrüßt, laufen Liebesdiener, Bordellbetreiber und Beratungsstellen Sturm dagegen. Die Szene ist sich einig: Statt für Schutz vor Menschenhandel, Ausbeutung und Zwangsprostitution zu sorgen, werden Zwänge geschaffen.
 

 
Einige Frauen – darunter auch die Freiburger Hobby-Hure Andrea Maier* – haben bereits angekündigt, sich aus Angst vor einem unfreiwilligen Outing nicht registrieren zu lassen. Für sie würde das neue Gesetz damit den Sprung vom legalen Horizontalgewerbe in die Illegalität bedeuten. An der Tullastraße herrschen hingegen ganz andere Ängste: Hier sieht man den traditionellen Blowjob-Contest in Gefahr. Für sinnliches Vergnügen ohne Gummi will FKK-Palast-Chef Berthold Lorenz sogar vor Gericht ziehen.
 
Der 25-Jährige, der an diesem Morgen im Freiburger Amtsgericht auf der Anklagebank sitzt, macht einen sympathischen Eindruck: gutaussehend, gepflegt, locker. Ruhig hört sich der junge Mann aus Müllheim die Anklage der Staatsanwältin an. Wie er sich mit der knappen Frage „Ficken?“ in einer Nacht Anfang Februar mit einer jungen Frau verabredet hat, die für 120 Euro Geschlechtsverkehr anbietet. Wie sie das Treffen im Keller eines Wohnhauses abbrechen wollte, weil er sie beim Oralverkehr rabiat am Kopf packte. Wie er sie daraufhin mit dem Kopf gegen ein Rohr stieß, sie mit der Faust schlug, sie die Kellertreppe hinunterstieß und versuchte, sie zu vergewaltigen.
 
Solch eine Szene ist der Albtraum einer jeden Frau – und in Freiburg glücklicherweise eher selten. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – darunter fällt alles von der sexuellen Nötigung über die Zuhälterei bis hin zur Verbreitung pornografischer Schriften – verzeichnete die Polizei im vergangenen Jahr 124 Mal. Laut aktueller Kriminalitätsstatistik macht dieser Bereich gerade einmal 0,4 Prozent aller Delikte aus. Fälle von Menschenhandel und Zwangsprostitution hat die Kripo dabei noch seltener auf dem Tisch.
 
Doch die sind dafür umso dramatischer: Mehr als fünf Monate lang ermittelte sie im vergangenen Jahr gegen fünf Männer, die osteuropäische Frauen nach Deutschland geschleust haben sollen, um sie hier zur Prostitution zu zwingen. Die Schleuserbande hatte die Frauen mit gefälschten Pässen versorgt und die echten Papiere an sich genommen. Zeitgleich stürmten die Beamten an einem Dezemberabend Bordelle in Freiburg, Villingen-Schwenningen und Hanau und stellten die gefälschten Dokumente sicher. Die Schleuser werden in den kommenden Monaten unter anderem wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung vor Gericht gestellt. Drei Männer sitzen derzeit in U-Haft, gegen zwei andere ist ein Haftbefehl erlassen worden.
 

 
Das neue Gesetz hätte die Arbeit von Hauptkommissar Walter Martin bei diesem Fall vereinfacht: Durch die Registrierungspflicht könnten illegal nach Deutschland geschleuste Frauen eher auffliegen. Auch bei der Freiburger Beratungsstelle P.I.N.K. sieht man Bedarf. „Die bisherigen Regelungen sind sehr minimalistisch“, sagt deren Leiterin Simone Heneka. Mit der Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs ist sie allerdings nicht einverstanden: „Es ist viel von Kontrolle die Rede, und der Schutzcharakter wird hintangestellt.“
 
So gibt es in dem Gesetzesentwurf deutlich mehr Peitsche als Zuckerbrot: Sexarbeiter müssen sich registrieren lassen und regelmäßig den Amtsarzt besuchen. Bordelle müssen gewisse Auflagen erfüllen – etwa die Trennung von Arbeits- und Wohnraum oder den Einbau eines Notrufsystems. Kondome sind ein Muss, Flatrate-Angebote tabu. Die Verwaltungskosten, die im Gesetzesentwurf auf jährlich 13,4 Millionen Euro beziffert werden, tragen Länder und Kommunen.
 
Das Gesetz soll den Schutz von Prostituierten erhöhen, schürt dabei aber viele Ängste. Auch Andrea Maier ist skeptisch. Die 42-Jährige bezeichnet sich selbst als Hobby-Hure, die neben ihrem Hauptberuf anschaffen geht, um ihren Kontostand zu verbessern. Ihre Wohnung für den Herrenbesuch liegt in einem guten Freiburger Stadtteil und unterscheidet sich sicherlich nicht groß von den Wohnungen ihrer Nachbarn. Maier sitzt im Schlabberlook am Esstisch und trinkt Kaffee, im Fernsehen laufen Musikvideos, und durch die halb geöffnete Balkontür hört man den Regen prasseln. Doch im Arbeitszimmer nebenan, wo andere Schreibtisch und PC stehen haben, steht bei Maier ein großes Bett. Die Wände sind mit hellen Leintüchern abgehängt, die eine Art Baldachin bilden, Lampen und Stühle sind orientalisch angehaucht, und auf Knopfdruck erstrahlt ein Sternenhimmel aus kleinen Lämpchen. „Auch Männer legen Wert aufsAmbiente“, weiß Maier.
 
Von ihren Freunden und Bekannten kennen nur wenige die Wohnung: „Ich achte sehr darauf, wem ich von meiner Tätigkeit erzähle.“ Registrieren lassen wird sie sich nicht. Dabei sieht das geplante Gesetz vor, dass sich Sexarbeiter über 21 Jahre alle zwei, unter 21 Jahre jedes Jahr bei der zuständigen Behörde mit Lichtbild, vollem Namen und Anschrift anmelden müssen. Welches Amt das in Freiburg übernehmen wird, steht noch nicht fest.
 
Mir kann niemand erzählen, dass meine Daten dann noch sicher wären“, sagt Maier. In der Branche machen Erzählungen von Frauen die Runde, deren Daten die Polizei schon hat: Unfreiwilliges Outing durch den Polizistensohn der Nachbarin. Verkehrspolizisten, die sich einen derben Spruch nicht verkneifen können. Eine geplatzte USA-Reise, da Prostituierten die Einreise verwehrt werden kann. Auch Heneka weiß von den Befürchtungen: „Viele Frauen haben extreme Angst, erkannt zu werden. Die Gesellschaft ist noch nicht soweit, mit Prostitution einen stigmatafreien Umgang zu führen.“ Das Resultat: Frauen, die sich aus Angst nicht registrieren lassen, würden in die Illegalität getrieben.
 
Kriminalhauptkommissar Martin kann solche Argumente nicht nachvollziehen: „Wir gehen verantwortlich mit Daten um.“ Gerüchte, wonach etwa Verkehrspolizisten Einsicht in die Daten der Frauen hätten, weist er zurück.
 
Rechtlich ist das Gesetz auch noch nicht befriedigend: Maria Wersig vom Deutschen Juristinnenbund bezweifelt, dass die Registrierungspflicht überhaupt mit Grundrechten wie der Berufsfreiheit oder dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist. Und Maier sieht eine EU-Richtlinie verletzt, wonach den Mitgliedsstaaten die Verarbeitung von Daten über das Sexualleben untersagt ist: Geht sie in einem Bordell oder einer Terminwohnung anschaffen, ist der Betreiber verpflichtet, aufzuzeichnen, an welchen Tagen sie dort gearbeitet hat. „Den Staat geht es nichts an, ob ich an fünf Tagen hintereinander gefickt habe“, empört sie sich.
 
„Es geht nicht darum, Frauen, die sich selbstbestimmt der Prostitution zuwenden, zu behindern“, stellt Martin klar. „Doch diese Frauen sind unserer Erfahrung nach in der Minderheit.“ Prostitution sei selten völlig freiwillig, die meisten Frauen kämen aus prekären Verhältnissen – der Großteil aus Osteuropa. Zwar verdienen sie hier durch die Prostitution ein Vielfaches dessen, was sie in ihren Heimatländern verdienen könnten. Aber: „Die Riesenprofite bleiben bei den Bordellbetreibern hängen.“
Doch nicht nur die, sondern auch die Freier erwartet eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, wenn sie die Lage von Zwangsprostituierten ausnutzen. „Natürlich wird es schwer, einem Freier nachzuweisen, dass er von einer Zwangslage gewusst hat“, weiß auch Martin. „Doch als Druckmittel brauchen wir sanktionsfähige Tatbestände und die schafft das Gesetz.“
 
Noch schwerer zu kontrollieren ist derweil die Kondompflicht. Maier kennt Erzählungen von Kolleginnen in Bayern, wo es diese Pflicht schon gibt, wonach Polizisten die Türen mit dem Dietrich öffnen, um Verstöße in flagranti aufzudecken. „Dieser Freier kommt nie wieder zu ihnen“, so Maier. Auch die Polizeigewerkschaft zeigt sich von diesen Aussichten wenig begeistert. „Es ist keinem Menschen zumutbar zu kontrollieren, ob ein Freier im Puff ein Kondom trägt oder nicht“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der Bild-Zeitung. Die Kondompflicht sei absolut lächerlich.
 
Not amused zeigt sich auch FKK-Palast-Chef Berthold Lorenz, der ankündigt, mit seinem Anwalt gegen die Vorschrift vorzugehen: „Bei mir entscheidet jede Frau selbst, ob sie es mit oder ohne macht – ich schreibe denen nichts vor.“ Veranstaltungen wie der regelmäßige Blow-Job-Contest im FKK-Palast seien mit Gummi gar nicht möglich: „Da brauche ich ja 5000 Kondome.“
Dass Prostituierte in den Bordellen tatsächlich ein Mitspracherecht haben, bezweifelt Martin: „Wer nur ein Minimalprogramm anbietet, arbeitet dort sicherlich nicht lange.“
 
Denn auch andere Freiburger Häuser werben mit Vergnügen ohne Gummi. So gibt es laut Website in der Villa Freiburg für 80 Euro eine halbe Stunde „mit französisch Natur und Küssen“. „Das sind die Extras, mit denen wir das Geld verdienen“, sagt eine der Frauen, die dort selbstständig arbeiten.
Wie wichtig Kondome bei jeder Art des Geschlechtsverkehrs sind, weiß Ulrike Hoffmeister, Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe Freiburg. „Doch wenn man eine Pflicht daraus macht, geht der Schuss meist nach hinten los“, zeigt sich auch die Beraterin kritisch. „Wir machen stattdessen seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit der Prävention.“ So gehen die Berater zusammen mit P.I.N.K. ins Milieu, verteilen Kondome und führen anonyme Schnelltests durch.
 
Noch vor der Sommerpause soll der Gesetzesentwurf in den Bundestag gehen, im Herbst will dann der Bundesrat beraten. Bis dahin werden sicherlich noch einige hitzige Worte fallen. Nur das Freiburger Amt für Öffentliche Ordnung ist in dem Trubel so etwas wie der ruhende Pol. Pressesprecherin Edith Lamersdorf weiß, warum: „Kein Gesetz verlässt erfahrungsgemäß den Bundestag so, wie es zunächst als Entwurf eingebracht worden ist. So wird es auch beim Entwurf des Prostituiertenschutzgesetzes kommen.“
 
Text: Tanja Bruckert / Fotos: ddp