Querdenker: Wie ein Student mit Asperger-Syndrom zurechtkommt STADTGEPLAUDER | 07.11.2017

Tim ist 21 Jahre alt. Er hat Asperger und studiert Geschichte in Freiburg. Im Interview mit Maria Kammerlander erzählt er, wie sein unsichtbares Syndrom ihm das Studium erschwert. Aber auch von Vorteil ist.

chilli: Tim, hat Asperger deine eigene Wahrnehmung verändert?
Tim: Ich habe die Diagnose mit etwa zehn Jahren bekommen. Sie hat meine Selbstwahrnehmung über die letzten zehn Jahre hinweg verändert und immer wieder zum Nachdenken angeregt: Wie unterscheidet man sich von anderen? Was ist eigentlich Normalität? Soll man der folgen?

chilli: Welche Schwierigkeiten hast du denn im Alltag?
Tim: Ich verstehe Kommunikation anders. In sozialen Situationen ist es immer wieder schwierig.

chilli: Worauf achtest du bei Gesprächen?
Tim: Ursprünglich konzentrieren sich Menschen aus dem autistischen Spektrum auf die Fakten eines Gesprächs. Sie sehen Gespräche oft als Austausch von Informationen. Dabei übersehen sie oft die sozialen Komponenten oder haben nicht die Intuition dafür.

chilli: Die Gefühlswelt des Gegenübers bleibt dir verschlossen?
Tim: Natürlich. Ursprünglich habe ich nicht groß daran gedacht, wie die Gefühle der anderen sind. Es ist allerdings falsch, dass autistische Menschen keine Empathie haben. Es ist nur so, dass man weniger die Notwendigkeit sieht, Gefühle zu zeigen. Ich habe mittlerweile meine Mimik und Gestik etwas angepasst.

Anders und doch gleich: der 21-jährige Freiburger Student Tim.

chilli: Wendest du Theorie an? Etwa: Es ist lustig, jetzt lache ich mal …
Tim: Ja. Man versucht Theorien oder Regeln aufzustellen, aber das menschliche Sozialverhalten ist oft sehr chaotisch, irrational und unlogisch.

chilli: Gibt’s die Probleme bei deiner Krankheit nur bei Gesprächen?
Tim: Ich würde für mich nicht den Krankheitsbegriff wählen. Natürlich gibt es viele, die Autismus als negativ empfinden. Ich denke aber, dass ich in der Lage bin, Vorteile zu nutzen und Nachteile zu kompensieren. Es gibt noch andere Merkmale wie ungeschickte Feinmotorik.

chilli: Das bedeutet konkret?
Tim: Schlechtes Schriftbild.

chilli: Wie läuft es im Studium?
Tim: Die praktischen Dinge bereiten Probleme. Es ist anstrengend, soziale Kontakte aufzubauen. Man zieht sich stärker zurück. Es entgehen einem wichtige Informationen zum Studium, weil man niemanden hat, um an Infos zu kommen. Man muss sich an einiges öfter erinnern: Essen kochen oder Wäsche waschen zum Beispiel.

chilli: Und was klappt gut an der Uni?
Tim: Dass man Menschen trifft, die sich für ähnliche Dinge interessieren. Und die Möglichkeit, sich für Verschiedenes zu engagieren.

chilli: Bei was kannst du entspannen?
Tim: Entspannend ist, allein zu sein. Ich muss dann nicht über mein Verhalten nachdenken. Was ist richtig oder was ist falsch? Langeweile kommt da nie auf. Ich habe ja genügend Dinge, die mich interessieren.

chilli: Was würdest du Menschen raten, die wie du spüren, „anders“ zu sein?
Tim: Es ist wichtig, sich zu informieren. Man sollte sich klarmachen, nicht fehlerhaft zu sein, sondern eher über die Unterschiede reflektieren. Als normaler Mensch – ne, nicht als normaler Mensch, sondern sich als Mensch unter anderen Menschen verstehen.

Text und Foto: Maria Kammerlander

Asperger

Autisten leiden an einer angeborenen Entwicklungsstörung des Gehirns. Rund jeder 1000. Deutsche ist Autist, zeigen Studien. Da die Krankheit viele Facetten hat, wird vom Autismus-Spektrum gesprochen. Das Asperger-Syndrom, wie Tim es hat, ist eine abgeschwächte Form des Autismus. Man bezeichnet sie als Kontakt- und Kommunikationsstörung.

Typische Merkmale sind mangelndes Einfühlvermögen, konsequentes Festhalten an Gewohnheiten, ausgeprägte Spezialinteressen oder motorische Schwächen. Betroffene haben oft ein exzellentes Gedächtnis, können beispielsweise ein ganzes Telefonbuch auswendig lernen.

An der Uni Freiburg soll zum Wintersemester eine Hochschulgruppe für Betroffene starten. Monatliche Treffen sind geplant, berichtet Beate Massell, Beauftragte für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung. Sie kennt 40 Betroffene an der Uni. Problematisch sei beim Studium die relativ unstrukturierte Umgebung im Uni-Alltag. Gruppenarbeiten und Smalltalk-Runden bereiteten ebenfalls Probleme.