Ragni Maria Gschwend übersetzt "Verfahren eingestellt" von Claudio Magris STADTGEPLAUDER | 18.06.2017

Die für ihre Arbeit vielfach prämierte literarische Freiburger Übersetzerin Ragni Maria Gschwend hat gerade ein Buch vom Italienischen ins Deutsche übertragen, das nicht eben zur leichten Sommerlektüre zählt. Im Gegenteil: Der Roman „Verfahren eingestellt“ von Claudio Magris ist ein schweres und schwer verdauliches, vielschichtiges Werk, das einige der dunkelsten Epochen der Menschheitsgeschichte zum Thema hat.

„Verfahren eingestellt“: Ragni Maria Gschwend hat das wort- und bildgewaltige Epos übersetzt.

Zwei Extrembeispiele menschenverach­tenden Handelns – der Handel mit versklavten Schwarzafrikanern und die Vernichtung jüdischer Europäer – sind die wesentlichen Komponenten des wort- und bildgewaltigen Epos. Und sie vereinen sich in einer der beiden Hauptfiguren: in Luisa Brooks, der Tochter einer italienischen Holocaust-Überlebenden und eines afro­amerikanischen Besatzungssoldaten.

Sie, die mit Namen und als Ich-Person auftritt, setzt das Erbe des zweiten Hauptprotagonisten um, der indessen nur als „Er“ in Erscheinung tritt. Den aber, im Gegensatz zu Luisa, gab es wirklich: Diego de Henriquez, der in Magris’ Heimatstadt Triest ein „Kriegsmuseum im Dienste des Friedens“ einrichten wollte, dann aber bei einem mysteriösen Brand ums Leben kam.

In den Flammen gingen offenbar auch die Notizbücher Henriquez’ verloren. Darin hatte er Namen notiert, die Häftlinge der Risiera di San Sabba in eine Wand dieses einzigen, nahe Triest gelegenen NS-Konzentrationslagers in Italien geritzt hatten und die nach der Räumung des Lagers gekalkt worden waren: die Namen von italienischen Denunzianten, Kollaborateuren, Henkern und Geschäftemachern. Diese Namensliste, die Unmöglichkeit, den Namensträgern den Prozess zu machen, bildet den roten Faden durch das Buch.

Das besagte Museum gibt es inzwischen wirklich, sagt Ragni Maria Gschwend und zeigt ihre Eintrittskarte. Im September 2015, als sie mit der Übersetzung von „Non luogo a procedere“ begann, hatte sie es besucht. Die 81-Jährige, die seit etwa 50 Jahren mit großem Engagement als „Mittlerin zwischen den Sprachen“ tätig ist, reist „immer, wenn es sich einrichten lässt“, zu den Originalschauplätzen. Durch die Anschauung, so ihre Erfahrung, kann sie Details besser einordnen, hat sie Bilder vor Augen, die ihr die Arbeit fließender machen.

Dennoch muss sie manchmal „regelrecht ackern an einem Text“. Da sie es mit der Übersetzung sehr genau nimmt und sich nicht nur in der Interpretation von Sprache und Schreibstil, sondern auch bezüglich historischer Fakten sicher sein will, recherchiert sie viel – und ist froh, dass dies mit den modernen Medien so unkompliziert geht.

In der Zusammenarbeit mit Claudio Magris hat sie zudem das „große Glück“, dass er fließend deutsch spricht und deshalb ihre Übersetzungen beurteilen kann: Der Autor, der auch in Freiburg studierte, war Germanistik-Professor an der Universität Triest. Er wisse außerdem, was es bedeutet, seine komplexen Werke in eine andere Sprache zu übertragen. Und er achte ihre Arbeit sehr: So habe er unlängst, bei einer Lesung in München, nur das Original als sein Werk bezeichnet, die Übersetzung hingegen als ihres. Das hat sie „natürlich sehr gefreut und geehrt“.

Lesung mit Ragni Maria Gschwend
Mittwoch, 21. Juni, 20 Uhr
Stadtbibliothek Freiburg, Münsterplatz 17
In der Reihe „Freiburger Andruck“

Verfahren eingestellt
von Claudio Magris
Aus dem Italienischen
von Ragni Maria Gschwend
Hanser 2017
398 Seiten, gebunden
Preis: 25 Euro

Text und Foto: Erika Weisser