Salomons seltsamer Salto rückwärts: OB fürchtet Bürgerentscheid im Mooswald STADTGEPLAUDER | 18.12.2017

Die Aktion war als Befreiungsschlag gedacht, hat aber durchaus Eigentor-Qualitäten: Nachdem der Freiburger Rathauschef Dieter Salomon (Grüne) Mitte November plötzlich von einer möglichen Bebauung eines größeren Mooswald-Stücks mit vielleicht 1100 Wohnungen abwich und dafür auch die Wohnungsnot verharmloste, hagelte es Kritik von fast allen Seiten. Der Polit-Profi, der sich im April wieder zum Oberbürgermeister von Freiburg wählen lassen will, musste hernach Erklärungen liefern. Rational überzeugend waren die bisher nicht. In dieser Frage regiert eher das Bauchgefühl.

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag, fast windstill, eine ältere Dame lässt ihre kleine Hündin die Notdurft in dem kleinen Waldstück zwischen der Straße Obere Lachen und der Granadaallee im Stadtteil Mooswald verrichten. Sie weiß gar nichts von der aktuellen Debatte um das Wäldchen, zuckt kurz mit den Schultern und geht weiter Gassi. Ansonsten ist auf der sogenannten Mooswald-West-Fläche keine Menschenseele, nicht mal Vögel sind zu hören.

Die insgesamt 13 Hektar liegen zwischen den Rändern der Mooswald-Siedlung und der Westrandstraße, zwischen der S-Bahn-Trasse und dem Rehwinkel. Sie hat für Menschen etwa so viel Aufenthaltsqualität wie eine Straßenkreuzung. Am Waldboden liegen umgefallene Bäume, Laub verdeckt den Boden, es ist matschig. Die Fläche ist eine von fünf, die die städtische Projektgruppe Neue Wohnbauflächen (ProWo) angesichts der Wohnungsnot aus dem Perspektivplan schon mal vorgezogen hat. Salomon will auch eine zweite, etwa vier Hektar große Fläche an der Dreisam in Littenweiler nicht bebauen.

Für die Mooswald-Fläche wurde bereits im vergangenen Jahr ein Waldumwandlungsverfahren vorbereitet, Experten erfassten den Baumbestand, Beschäftigte der Stadtverwaltung stellten sich bei öffentlichen – nicht vergnügungssteuerpflichtigen – Terminen der Bürgerschaft. Bürgern, die 10.000 Unterschriften gegen ein neues Wohngebiet in der Nachbarschaft gesammelt haben. Bürger, die selbst auf Flächen leben, die früher mal bewaldet waren.

Wäldchen oder Bauland: Dieter Salomon ist von einer Erweiterung der Mooswald-Siedlung abgerückt. Und erntete viel Kritik.

Wäldchen oder Bauland: Dieter Salomon ist von einer Erweiterung der Mooswald-Siedlung abgerückt. Und erntete viel Kritik.

Salomon begründete seinen Salto rückwärts damit, dass der Mooswald ein Symbolthema in Freiburg sei. Der Grüne kann im Wahlkampf keine Themen gebrauchen, die ihm gefährlich werden könnten. Ob der vom Rathauschef ins Feld geführte mögliche Bürgerentscheid während der Bauleitplanung nur herbeigeredet ist oder – in der Kürze der Zeit – tatsächlich gekommen wäre, sei dahingestellt. Auf jeden Fall hat der Oberbürgermeister den Gemeinderat brüskiert – und die Sache auch nicht mit seinen Kollegen auf der Bürgermeisterbank vorab diskutiert.

„Wir haben zu den ProWo-Flächen einen Beschluss des Gemeinderats, der OB ist da nur eine von 49 Stimmen“, sagt Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Eckart Friebis. Wenn der OB über Erkenntnisse verfüge, wonach die Wohnungsnot in Freiburg nicht mehr so brisant sei und Erkenntnisse darüber habe, dass die möglichen Wohnungen im Mooswald-West an anderer Stelle gebaut werden können, nur dann könne man den Salto vielleicht nachvollziehen. Die Grünen hätten solche Erkenntnisse aber nicht.

„Diesem neuen Kurs wird die CDU-Fraktion nicht folgen“, so Fraktionschef Wendelin von Kageneck, der kritisiert, dass Salomon das Thema im Alleingang anging. Ohne sachliche Grundlage so einen Rückzieher zu machen habe auch Konsequenzen für alle anderen Flächen, die Oberbürgermeister und Gemeinderat auf der Grundlage des Perspektivplans und im Rahmen des Flächennutzungsplans gemeinsam angehen wollten: „Wie sollen wir nach einer solchen Kehrtwende bei anderen Flächen Eingriffe in Privateigentum rechtfertigen“, fragt von Kageneck. Nicht ohne Grund, denn beim geplanten Stadtteil Dietenbach stehen immer noch Enteignungen im Raum (wir berichteten).

Die SPD mutmaßt, dass der Wahlkampf und die damit verbundene Nervosität des Oberbürgermeisters Grund für dessen Kehrtwende seien und verweist auf die Beschlusslage, wonach alle Flächen erst mal gutachterlich geprüft werden sollen, „auch wenn keiner gerne Kleingärten plattmacht, Dreisamwiesen bebaut oder Bäume fällt“.

Das Plangebiet (umrandet): Zwischen Mooswald und Landwasser liegt die Fläche, auf der mehr als 1000 Wohnungen gebaut werden könnten.

Die Fraktionsgemeinschaft Junges Freiburg, Die Partei, Grüne Alternative Freiburg (JPG) zeigte sich „tief enttäuscht“. Der OB habe seine Kompetenzen „deutlich überschritten“, so Stadtrat Simon Waldenspuhl. Die Aussage, dass man auf Dauer nicht jedem Bedarf hinterherbauen könne, sei „ein Schlag ins Gesicht aller Menschen, die in Freiburg größte Probleme haben, sich mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen“, kommentierte Vize-Fraktionschefin Monika Stein. Und der Vorsitzende Lukas Mörchen ergänzte: „Wie man so fernab der Freiburger Realität argumentieren kann, ist mir ein Rätsel.“ Der OB solle „umgehend zur Sachpolitik zurückkehren“.

Stadtrat Sergio Schmidt bewertete den Vorgang als „billiges Wahlkampfmanöver“. Wolf-Dieter Winkler, Chef der Fraktion Freiburg Lebenswert/Für Freiburg, attestiert „Populismus pur“. Die Freien Wähler sehen das „Vertrauen in die politische Verlässlichkeit zerstört“. FDP-Stadtrat Patrick Evers fragt: „Sitzt Dieter Salomon so hoch auf seiner Baumkrone, dass er den Blick für die Realität verloren hat und selbst die Warnungen vor ‚sozialen Unruhen’ überhört?“ Der OB wisse doch, dass Freiburg bis 2060 einen steigenden Wohnungsbedarf hat?

„Der Gemeinderat muss meine Sicht der Dinge nicht teilen“, sagt Salomon. Er will aber auf keinen Fall „wieder in so eine Situation kommen, wo man die Stadt spaltet“. Und meinte damit den 2006 in schwerer Finanznot tatsächlich per Bürgerentscheid gekippten Verkauf der Freiburger Stadtbau. Dass Salomon diesem Wäldchen zutraut, eine auch nur ähnliche Debatte zu entzünden, zeigt, wie sehr der Stachel auch elf Jahre nach dem Bürgervotum noch im Fleisch sitzt. Der Badischen Zeitung sagte er in einem Interview, dass es zum Mooswald „mit hundertprozentiger Sicherheit“ einen Bürgerentscheid geben würde und man diesen „krachend verlieren“ werde.

Bevor also das Stück Mooswald abgeholzt wird, „müssen wir den Parkplatz beim Eisstadion bebauen“. Damit nahm er einen Vorschlag der Bürgerinitiative AG Mooswald auf. Das ist derweil keine neue Idee, sondern wird schon seit fünf, sechs Jahren diskutiert. Vor allem aber ist es eine Idee, die im Prinzip den Abriss des alten Eisstadions und einen Neubau fordert. Oder wie will man baurechtlich an der Ensisheimer Straße die Stellplatzfrage lösen?

Der OB zeigt uch auf Zähringen Nord, wo eine Machbarkeitsstudie ein Potenzial für 1400 neue Wohnungen ergeben hat (wir berichteten). Ob die aber auch kommen, ist aktuell fraglich. Denn die Flächen des Real-Markts und Mömax gehören privaten Eigentümern. „Wir sind in guten Gesprächen“, sagt Baubürgermeister Martin Haag. Mehr nicht. Übrigens zählt zum Entwicklungsgebiet im Norden auch ein Waldstück.

Als Naherholungsfläche taugt sie eher nicht. Und anders als anderswo gehört sie auch nicht Privaten, sondern der Stadt.

Auch die Entwicklungsfläche Stühlinger West rechnet Salomon gegen den Verlust, der bei einem Verzicht auf den Mooswald und die Dreisamwiese im Osten entstünde. Ob da aber wirklich 1300 neue Wohnungen gebaut werden könnten, ist völlig offen. Der Planungsprozess, in den auch das Land involviert wird, startet erst im Frühjahr.

Kurios: Die Vereinigung Freiburger Wohnungs- und Gewerbeunternehmen (VFW) gibt sich auf Anfrage moderat. „Salomon war bei uns und hat seine Position erklärt. Die Mitglieder haben den Verzicht auf den Mooswald schweren Herzens akzeptiert“, sagt VFW-Geschäftsführer Alexander Simon. Wenn ein Bürgerentscheid die Fläche zu Fall bringen könne, sei nichts gewonnen.

Die Baugenossenschaften hingegen reagieren verwundert. „Es ist sicher wünschenswert, wenn alle ProWo-Flächen mit Nachdruck verwirklicht werden“, sagt der Vorstand des Bauvereins Breisgau, Marc Ullrich. Allein bei ihm warten 2000 Mitglieder auf eine Wohnung. Rund 3000 sind es bei der Stadtbau, 1400 stehen auf der Notfallkartei der Stadtverwaltung, 1000 bei der Familienheim Freiburg. „Wir könnten jede Wohnung vier Mal vergeben, es ist auf dem Wohnungsmarkt überhaupt keine Entspannung zu spüren“, kommentiert Vorstand Anja Dziolloß. In Freiburg bestehe nach wie vor „ein erheblicher Engpass an Wohnflächen und damit ein sozialer Sprengsatz“, betont von Kageneck.

Salomon weiß auch, dass „wir Wohnungen bauen müssen“, die Frage sei, wie viele: „Wenn ich von Statistikern höre, dass Freiburg bis 2030 auf 258.000 Einwohner wächst, dann ist das Bullshit, lächerlich.“ Die Quadratmeterpreise für Neubauwohnungen sind in den vergangenen sechs Jahren um 66 Prozent auf 4825 Euro gestiegen. Der Gemeinderat ist am Zug.

Fotos: © bar, Neithard Schleier, Google-Luftbild/GeoBasis-DE/BKG