Samstagnacht im Taxi: Püppchen, Pöbler, Partycrew STADTGEPLAUDER | 25.07.2016

Das Auto ist sein Büro: Michael Oberst ist einer von rund 350 Freiburger Taxifahrern. Tag und Nacht kutschiert er Gäste von A nach B. chilli-Redakteur Till Neumann hat ihn bei seiner stressigsten Schicht begleitet: Samstagnacht im Großraumtaxi. In seinen Vito steigen feiernde Ladys, lallende Nachtschwärmer und pöbelnde Jungs. Die neuen Taxitarife sorgen auch mal für Empörung.

Taxifahrer Michael Oberst

Souverän: Michael Oberst kutschiert auch Pöbler sicher durch die Stadt.

Kurz vor Mitternacht: Langsam tastet sich der graue Vito eine steile Zähringer Gasse hinauf. Schicke Häuser mit noch schickeren Vorgärten sind im Dunkeln zu erkennen. Hausnummer 16, gefunden. Michael Oberst hält am Straßenrand. „Im Auftrag steht, die Kunden kommen ans Auto. Also warten wir im Wagen“, sagt der 49-jährige studierte Forstwissenschaftler. Fünf Minuten Kulanzzeit sind drin, dann macht er die Taxiuhr an.

Plötzlich sind Stimmen zu hören. Vier Damen und ein Kerl kommen lachend durchs Eingangstor der Villa. Die aufgebrezelten Ladys kichern. Eine Parfümwolke schlüpft mit in den Wagen. „Könnt ihr Musik anmachen?“, ruft eine. Die Kollegin vorne fummelt am Radio rum. „This girls go crazy, bad bitch“, schallt es durch die Boxen. Auf der Rückbank tippen lackierte Fingernägel auf Smartphones.

Von Zähringen geht’s in die Innenstadt. „So, da wären wir, 26 Euro bitte“, sagt Oberst höflich, als sie am Colombipark sind. „Sind Sie der Weihnachtsmann? Das ist ja Wucher!“, ruft eine. „Seit dem 1. Mai sind die Preise gestiegen“, erklärt Oberst. Für ein Großraumtaxi sei die Zulage von sechs auf zwölf Euro geklettert (siehe Infokasten). Nach kurzer Diskussion kriegt Oberst sein Geld. Aus der Ruhe bringen ihn solche Reaktionen nicht. Seit zwölf Jahren fährt er hauptberuflich Taxi. Seit sechs Jahren samstagnachts. Denn da verdient er am besten. Muss dafür aber auch am meisten einstecken. Viele Gäste sind betrunken.

Taxistand

Startklar: Samstagnacht muss Michael Oberst nicht lange auf Kunden warten.

„Zwischen 0 und 6 Uhr habe ich samstagnachts quasi keine Standzeiten“, sagt der Funktaxifahrer. Er ist an die 55-55-55-Zentrale angeschlossen und damit einer der knapp 100 Privilegierten in Freiburg. Aufträge bekommt er direkt ins Auto geschickt. Im Idealfall hat er auf jeder Strecke Kunden. Dann lohnt sich der Stress. Bei Spätschichten unter der Woche verdient er nur die Hälfte.

„Stöckelwild vorm Colombi“, sagt Oberst. Zwei Damen stolzieren mit hochhackigen Schuhen aus besagtem Hotel. Ein Taxi brauchen sie nicht. Dabei könnte Oberst sie bis nach Hamburg, Köln oder München fahren. Solche Fahrten sind selten. Einmal hat Oberst eine Gruppe nach München gebracht. Seine weiteste Reise ging nach Hannover. Kostenpunkt: Deutlich über 500 Euro. „Unter der Woche ist so eine Fahrt gut, am Wochenende ist das nicht nötig“, sagt Oberst. Da ist sowieso genügend los.

Dann piepst das Datenfunksystem, ein kleiner schwarzer Kasten mit grünem Display. Ein Kunde in Günterstal. Oberst dreht den Schlüssel im Zündschloss. Los geht’s. „Ein Navi brauche ich nicht“, sagt er. Nur in ganz seltenen Fällen nutze er die GPS-Funktion seines Smartphones.

Datenfunksystem

Digital: Über den Datenfunk kommen Aufträge direkt aufs Display.

Taxi fährt der Familienvater seit dem Studium. Sechs Jahre lang arbeitete er später in der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) in Freiburg. Als sein Vertrag auslief, wurde Taxifahren zum Hauptverdienst. In Teilzeit, um mehr bei der Familie zu sein. Ob ihm der Job Spaß macht? „Meistens.“ Flexible Arbeitszeiten, spannende Begegnungen und der „Flow“ beim Fahren gefallen ihm. Lärmende und respektlose Fahrgäste hingegen nicht.

Die gibt’s Samstagnacht zuhauf. Nach drei ruhigeren Fahrten und etwas Trinkgeld (im Radio läuft „I Need A Dollar“) von einem nach Kippen riechenden Wirt geht’s nach St. Georgen. Fünf Angetrunkene klettern ins Auto. Vorne zwei Frauen, die freundlich grüßen, hinten drei aufgeheizte Jungs. „Ich hab‘ zehn Euro dabei. Mehr gibt’s nicht, ist das klar?“, brüllt einer durchs Auto. Seine Kollegen prusten vor lachen. „Ey, was bist du für einer? Bist du schwul? Oder von nem andren Planeten?“, poltert er weiter. Oberst antwortet nicht, konzentriert sich auf die Straße.

Der Pöbler versucht’s nochmal: „Zehn Euro. Es gibt keinen Cent mehr, ist das klar?“ Das Taxameter steht bei 16,20 Euro. Oberst schweigt. Am Konzerthaus sind es 25,60 Euro. Der Trunkenbold resigniert, als die Mitfahrerinnen das Portemonnaie zücken.

„Es ist selten, dass jemand nicht bezahlen will“, erzählt Oberst. Einmal im Jahr erlebe er das. Einen gebe es immer, mit dem man reden könne. „Im Notfall rufe ich die Polizei oder fahre an einen sicheren Ort, um sie aussteigen zu lassen“, sagt Oberst. Wegen fünf oder zehn Euro mache er keinen Aufriss.

Der Vito, den Oberst für Taxi Dresmann fährt, ist krisenerprobt. Erst kürzlich wurde einer seiner Kollegen darin ausgeraubt. Zwei Männer bedrohten den Fahrer in Weingarten mit einem Messer und klauten eine Tasche. So etwas hat Oberst noch nicht erlebt. Zwei Mal wurde er jedoch bestohlen. Mittlerweile hat er Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Welche, verrät er nicht.

Am Konzerthaus steigen sieben Jugendliche ein. Es geht zu einem Rave am Dietenbach. „Mist, ich bin schon wieder voll nüchtern“, sagt ein Mädel auf der Rückbank. Angetrunken sind später auch zwei Tätowierer, die zur Messe fahren. Sieben Euro Trinkgeld gibt’s für Oberst. Monatsrekord. Dann steigt ein betrunkener Südamerikaner beim Karlsplatz ins Taxi. „Leck mich am Arsch, ich bin besoffen“, lallt er. Es ist halb vier.

Taxameter

Gestiegen: Die Taxitarife in Freiburg sind teurer geworden.

Im Rennweg ruft die Zentrale an. Großauftrag. Acht Damen haben Junggesellenabschied gefeiert und wollen nach Weil am Rhein und Lörrach. Ein lukratives Geschäft. Der als „junger Kollege“ getarnte Journalist räumt seinen Platz auf der Rückbank. Zwei Stunden braucht Oberst, um alle nach Hause zu bringen. Eine hält vorsichtshalber eine Kotztüte in der Hand. Die bleibt aber leer.

Um 6 Uhr morgens ist Feierabend. In rund sechs Stunden hat Oberst 319 Euro Umsatz gemacht. „Nix zu meckern“, sagt er und fährt nach Hause. Die Schicht war kurz heute. Meist ist er bis zu zehn Stunden im Einsatz.

Teurere Taxitarife & Fahrertypen
Zum 1. Mai sind in Freiburg die Taxi-Tarife gestiegen. Tagsüber kostet die Grundgebühr 3,90 Euro statt 3,70. Nachts zahlt der Kunde in Freiburg neuerdings 4,90 statt 4,70 Euro. Die Zulage für ein Großraumtaxi ist von sechs auf zwölf Euro gestiegen. Freiburg zählt damit zu den teuersten Taxistädten Baden-Württembergs. Die Tarife im Überblick gibt es auf www.taxi-freiburg.de

Martin Wohlleber von Taxi Dresmann teilt Freiburgers Taxifahrer in drei Gruppen ein:

– Tagfahrer am Funk, der überwiegend kranke und alte Menschen befördert

– Tagfahrer ohne Funk, der ange am Bahnhof steht und nur Barfahrten macht

– Nachtfahrer mit und ohne Funk am Wochenende, der richtig viel zu tun hat

Text: Till Neumann / Fotos: © Till Neumann