Selfies, Screens, Schildkröten: Tim Beam tourt durch China STADTGEPLAUDER | 04.05.2017

Zwei Wochen lang war der Freiburger Rockmusiker Tim Beam (45) auf China-Tournee. Sechs Shows spielte er im April – in Peking, Xi’an, Zhengzhou und Tayiuan. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt er von frenetischen Fans, vorbildlichen Veranstaltern und anarchischen Kreuzungen.

Big in China: Tim Beam spielte im Reich der Mitte vor gewaltigen Videoscreens.

chilli: Tim, du warst nach 2013 nun zum zweiten Mal auf Chinatournee. Auch in Australien, Italien oder Dänemark warst du schon. Ist das mittlerweile Normalität bei dir?

Tim Beam: Nein, das ist was ganz Besonderes. Mit Australien war das jetzt die längste Tour im Ausland. Und es war richtig gut: hammer Gigs in hammer Clubs. Das hat mächtig Spaß gemacht, die Band aber auch ganz schön gefordert. Die Technik zu klären war oft ein Abenteuer, da muss man schon hart im Nehmen sein. Verständigt haben wir uns auch mal mit Händen und Füßen. Viel Zeit für Sightseeing war nicht.

chilli: Kann China Rock’n’Roll?

Tim Beam: Es ist ja nicht so, dass die in Peking nicht wissen, was Rock’n’Roll ist. Wer da in solche Clubs geht, will schon abrocken. Da kommen viele junge Leute, mehr als bei uns. Plüschtiere sind zwar keine geflogen. Aber es gab schon einen riesigen Auflauf nach dem Konzert.

chilli: Was ist passiert?

Tim Beam: In Taiyuan war das völlig abgefahren: Während des Konzerts stehen sie alle ganz brav da. Danach rennen sie plötzlich kreischend her, reißen dir die Setlist aus der Hand, ziehen am Hemd und wollen Fotos. Irgendwann hat’s mir gereicht, also bin ich zum Backstage-Raum. Da standen aber schon die nächsten Fans (lacht).

Frenetische Fans: Der Rock’n’Roller kommt an bei den chinesischen Zuschauern.

chilli: Klingt anstrengend…

Tim Beam: Ich bin total happy da spielen zu können. Auch wenn’s organisatorisch eine ganz schöne Herausforderung ist. Andere Länder, andere Sitten. Das größte Konzert hatten wir vor etwa 500 Leuten. Größer als man es hier gewohnt ist. Ein Fan hat mir sogar ein Halstuch geschenkt.

chilli: Du spielst in China größere Shows als hier?

Tim Beam: Ja, verrückt. Ob Star oder nicht, das zählt weniger. Ich war ja schon mal da, meine Musik scheint denen zu gefallen. Wir hatten da sehr anständige Bühnen, mit tollem Licht und riesigen Videoscreens. Eine richtige Rockshow, so wie man es immer haben möchte. Da kann sich so mancher Veranstalter hier eine Scheibe von abschneiden.

chilli: Was hat dich am meisten beeindruckt?

Tim Beam: Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel die Chinesen essen. Alles wird beim Essen besprochen. Einmal waren wir in einem abgefahrenen Restaurant, das eigentlich eher ein Wohnzimmer war. Da gab’s unter anderem Schildkröte. Und an den Kreuzungen herrschte Anarchie. Ich bin froh, nicht selbst am Steuer gewesen zu sein (grinst).

Ausspannen: Eine kleine Entdeckungstour auf den Rad war mal drin.

chilli: Schon eine andere Welt, oder?

Tim Beam: Ja, aber das Schöne ist: Es funktioniert trotzdem. Solche Reisen sind wichtig, das pustet die Birne raus, zieht einen aus dem Alltagstrott. Das ist gut für sich und die künstlerische Seele. Reisen ist sowieso das Schönste an der Musik.

chilli: Weil Musik verbindet?

Tim Beam: Ja. Es ist ein Geschenk, wenn deine Musik die Menschen berührt. Dann sind wir eins, egal wo wir herkommen. Freiheit, Party, friedliches Zusammensein – darum geht’s. Aber man braucht Qualität, sonst kommt man nicht weit.

chilli: Wie weit willst du noch kommen? Wohin geht’s als nächstes?

Tim Beam: Vielleicht nochmal nach China. Die Gespräche laufen. Bevor ich aufhöre, will ich noch nach England und Amerika – die Mutterländer des Rock’n’Roll. Ich würde gerne mal testen, ob ich da mit meiner Musik durchkomme.

Tim Beam

Tim Beam steht seit fast 30 Jahren auf der Bühne. Der Hardrocker und Singer/Songwriter ist in Freudenstadt aufgewachsen und lebt seit 1993 in Freiburg. Der 45-Jährige macht nebenberuflich Musik und hat an der Uni in Freiburg Germanistik und Anglistik studiert. Seine aktuelle Single Durch den Tag gibt’s mit chinesischen Untertiteln. Für die Tour im April hat ihn eine Chinesin gebucht, die in Freiburg lebt. Begleitet haben ihn sein Bruder Philipp am Schlagzeug, Michael Goldsmith an der Gitarre und Dominik Schweizer am Bass. Vier Alben, vier EPs und zwei Singles hat Tim Beam in wechselnder Besetzung rausgebracht. Dieses Jahr soll ein neues Album mit erstmals rein deutschsprachigen Songs erscheinen.

Im Netz: www.timbeam.de

Fotos: Britt Schilling & Gaylord Sasse