Uniklinik sucht nach Alternativen für Tierversuche STADTGEPLAUDER | 11.01.2017

Das bis 2022 geplante „Institute for Disease Modeling and Targeted Medicine“ (Imitate) ist in Freiburg heiß umstritten. Während Bund und Land die Grundlagenforschung des neuen Instituts mit 57 Millionen Euro fördern wollen, kritisieren Tierschutzorganisationen wie Peta den Bau des „Tierversuchslabors“ mit seiner „antiquierten Forschung“. Grund: Rund 10.000 Mäuse sollen hier für die Tests herhalten. Sind Tierversuche tatsächlich nötig? An der Freiburger Uniklinik erforschen Wissenschaftler alternative Methoden – doch selbst diese Forschung kommt noch nicht ohne Tierversuche aus.

Durch Zellkulturen die Maus ersetzen: Bis jetzt noch Zukunftsmusik, weiß Jochen Maurer (links).

Durch Zellkulturen die Maus ersetzen: Bis jetzt noch Zukunftsmusik, weiß Jochen Maurer (links).

„Kein Forscher macht gerne Tierversuche“, sagt Dr. Jochen Maurer, „aber wenn man heute medizinische Tierversuche verbieten würde, könnte man die Krebsforschung einstampfen.“ Der Biologe sitzt in seinem Büro im Zentrum für Translationale Zellforschung, auf dem Bildschirm sind Darstellungen von Krebszellen zu sehen. Wenn Maurer einmal angefangen hat, von seiner Forschung zu erzählen, hört er so bald nicht mehr auf. Seine Begeisterung ist nachvollziehbar: Vielleicht ist es seine Brustkrebs-Forschung, die einmal tausenden von Frauen das Leben retten wird.

Im Labor gegenüber seines Büros legen sechs Mitarbeiter Zellkulturen an. Die Tumorzellen der extrem aggressiven Brustkrebs-Art „Triple negativ“ bekommen sie von Patientinnen der Uniklinik. Etwa stecknadelgroß ist der Zellhaufen, den die Forscher für ihre Arbeit zur Verfügung haben – in einem Kulturgefäß werden die Zellen vermehrt, damit Medikamente an ihnen getestet werden können. Ziel ist es, so wirksamere und schonendere Therapien zu finden.

Wirksamere Therapien gegen Brustkrebs: Dafür arbeitet Maurers Forschungsgruppe mit dem Institut für Mikrosystemtechnik zusammen.

Wirksamere Therapien gegen Brustkrebs: Dafür arbeitet Maurers Forschungsgruppe mit dem Institut für Mikrosystemtechnik zusammen.

Doch, was in der Petrischale funktioniert, muss beim Menschen noch lange nicht wirken und verträglich sein: Zulassungsbehörden verlangen daher vor der Studie am Menschen den Nachweis an einem Säugetier. Neue Therapien müssen deshalb zunächst an Mäusen getestet werden: Ihnen werden unter Narkose die Krebszellen unter die Haut gesetzt, um das Wachstum der Tumore unter Therapie zu studieren. Vor solch einem Test sind ausführliche Anträge nötig: Bevor sie von den Behörden genehmigt werden, müssen Wissenschaftler etwa nachweisen, dass ihre Forschung einen neuen Erkenntnisgewinn bringt und es keine Alternative dazu gibt.

Ob man in Zukunft auf diese Art von Versuchen verzichten kann, untersucht am Uniklinikum Freiburg unter anderem Maurers Forschungsgruppe. In einem gemeinsamen Projekt der Uni und der Uniklinik entwickeln Ingenieure des Instituts für Mikrosystemtechnik winzige Sensoren, die im Kulturgefäß etwa den Sauerstoff- und Glucosestoffverbrauch der Zellen messen. Mit Hilfe dieser Sensoren wäre es möglich, die Umgebung der Zelle so anzupassen, dass sie einem realen Körper entspricht. „Wir versuchen, immer bessere Zellkulturmodelle zu entwickeln, um die Maus langfristig zu ersetzen“, sagt Maurer.

Auch der Suche nach Alternativen: Dr. Jochen Maurer macht nicht gerne Tierversuche.

Auch der Suche nach Alternativen: Dr. Jochen Maurer macht nicht gerne Tierversuche.

Noch sei man davon allerdings „noch meilenweit entfernt“, schraubt der Forschungsgruppenleiter für Molekulare Onkologie die Erwartungen nach unten. Zellkulturen und Computersimulationen beantworten heute zwar einige Fragen, die zuvor noch im Tierversuch getestet werden mussten – wie etwa ein Immunsystem auf ein Medikament reagiert, können sie jedoch nicht klären.

Zudem werden die Sensoren momentan noch einzeln gefertigt. Um die Krebsmedikamente eines einzigen Herstellers zu testen, brauche es jedoch mehr als 100.000 Sensoren, rechnet Maurer vor. Wirtschaftlich könne sich die Investition durchaus lohnen: Tierversuche zählen zu den teuersten Experimenten in der Forschung. Die Kosten reichen vom Gehalt der Tierpfleger über die spezielle Ausbildung der Wissenschaftler bis hin zur artgerechten Unterbringung der Tiere. In Freiburg wurde sogar ein spezielles MRT für Mäuse angeschafft.

Text und Fotos: Tanja Bruckert

Ein Kommentar von Tanja Bruckert

Durchaus Gesprächsbedarf


Kaninchen mit verätzter Haut oder Mäuse mit entzündeten Augen – Bilder aus Tierversuchslaboren sind an Emotionalität kaum zu übertreffen. Die Debatte über Tierversuche sachlich zu führen, ist daher eine immense Herausforderung. Eine, die anscheinend weder Tierschützer noch Wissenschaftler bereit sind, anzunehmen.

Das chilli hatte im Zuge des geplanten Imitate-Neubaus dessen Sprecher Gerd Walz zu einer Diskussion über Tierversuche eingeladen – stattdessen gab es ein Statement der Pressestelle. Auch der hier veröffentlichte Text durfte erst nach einigen Änderungen gedruckt werden. Zu groß ist die Angst an der Uniklinik vor Angriffen durch militante Tierschützer. Verständlich, wenn man bedenkt, dass sich Forscher nach jeder Debatte über Tierversuche mit Beschimpfungen und sogar Morddrohungen konfrontiert sehen.

Doch dass sich die Fronten verhärten, wenn die verschiedenen Parteien nicht miteinander reden, dürfte eigentlich niemanden verwundern. Über die Ethik von Tierversuchen zu diskutieren, mag unmöglich sein: Ist die Heilung tödlicher Krankheiten das Leid und den Tod von Tieren wert? Sind Versuche an einer Fruchtfliege vertretbarer als an Affen? Ist ein Tier schützenswerter, je intelligenter es ist? Oder je niedlicher?

Doch es gibt Fragen, über die diskutiert werden kann: Inwiefern liefern Tierversuche auf den Menschen übertragbare Ergebnisse? Wann können sie durch Alternativen ersetzt werden – und wann nicht? Und sollte die Suche nach Alternativen einer Landesregierung nicht mehr wert sein, als die läppischen 400.000 Euro jährlich, die es in Baden-Württemberg gibt? Es sind Fragen, über die nicht nur gesprochen werden kann, sondern muss.

Foto: © iStock.com/Sascha Burkard