Vom deutschen Reinheitsgebot: Lesung von Uwe Timm zu seinem jüngsten Rooman "Ikarien" 4Literatur & Kolumnen | 20.03.2018 | Erika Weisser

Uwe Timm gehört zu den namhaften deutschen Schriftstellern der Gegenwart. Schreiben heißt für ihn „das kognitive Durchdringen der Wirklichkeit“, seine Literatur will „unbedingt politisch“ sein – und persönlich. Sein jüngster Roman – Ikarien – ist beides.

Ausgangspunkt ist der Frühsommer 1945, als sich amerikanische Soldaten im befreiten Deutschland daranmachen, die zwölf Jahre Tausendjähriges Reich und die in dessen Namen begangenen Verbrechen aufzuarbeiten. Einer von ihnen ist Michael Hansen, der als Sohn einer Auswandererfamilie über so gute Deutschkenntnisse verfügt, dass er auch komplexe Themen erfasst. Er soll sich mit einer der schlimmsten Ungeheuerlichkeiten der Nazis auseinandersetzen: Der Theorie von der Überlegenheit der nordischen Rasse, der entsprechenden „Rassenhygiene“ und den daraus folgenden Zwangssterilisationen und Ermordungen.

Hier trifft der fiktive Hansen auf den realen Alfred Ploetz – wenn auch nur indirekt, über dessen ehemaligen Freund – und setzt sich mit dem Werdegang und den abgründigen Thesen dieses für die NS-Ideologie so prägenden Mediziners und Eugenikers auseinander. Hier kommt auch Timms persönlicher Bezug ins Spiel: Ploetz war der Großvater seiner Frau.

Routiniert verknüpft er die verschiedenen Ebenen, zeigt, wie auch ein Anhänger des Gleichheitsgedankens durch rassistische Theorien zu einem – zumindest geistigen – Täter werden kann. Brillant und schauerlich.

Ikarien von Uwe Timm
Theater Freiburg
Donnerstag, 22. März, 19.30 Uhr
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch 2017
505 Seiten, gebunden
Karten-Infos: 0761/496-8888

Foto: © Frankfurter Buchmesse