Wie eine Freiburgerin in einem Monat ein Buch schrieb STADTGEPLAUDER | 06.03.2018 | Michelle Janßen

Ein Pils braucht sieben Minuten. Ein Buch manchmal Jahre. chilli-Autorin Michelle Janßen wollte es schneller schaffen. Die Freiburger Germanistikstudentin hat sich der Challenge gestellt: Schreibe ein Buch in einem Monat. Minimum 50.000 Zeichen, so die Vorgabe des National Novel Writing Month. Fast genau so viel Tode ist die junge Autorin dabei auch gestorben, erzählt sie im chilli.

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es angeblich schon drei Uhr morgens ist. Theoretisch müsste ich in zwei Stunden wieder aufstehen. Mein Kaffee ist kalt, das Kapitel ist noch immer nicht fertig und morgen früh ist Uni. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass dieser Monat nichts weiter, als ein gigantischer Fehler war.  

Ein Buch kann über Jahre entstehen. Oft sitzt man tagelang mit einer Idee im Kopf herum und hat keine Ahnung, wie man das jetzt aufschreiben soll. 1999 kam ein Amerikaner namens Chris Baty auf die Idee, die Dauer radikal zu verkürzen: Er wollte anderen Autoren und Autorinnen die Aufgabe stellen, in einem Monat ein Buch zu schreiben. Klingt unmöglich? Hat sich aber durchgesetzt. Innerhalb von wenigen Jahren wurde aus der Idee eines der größten Autorennetzwerke weltweit: der National Novel Writing Month (kurz NaNoWriMo). Einmal im Jahr finden sich dafür tausende Autoren online zusammen, um in 30 Tagen ein Buch mit mindestens 50.000 Wörtern zu schreiben. Seit drei Jahren mache ich da mit. Auch dieses Jahr.  

NaNoWriMo bedeutet, dass man einen Monat lang jeden Tag schreibt. Immer am selben Text. Das bedeutet Stress pur. Und trotzdem finde ich mich auch dieses Mal am ersten Tag des Monats vor meinem Laptop und schreibe. Die letzten Jahre bin ich gescheitert. Dieses Mal ziehe ich durch, sage ich mir. Jeden Tag klingelt der Handywecker um Punkt 5 Uhr morgens. Ich stehe auf, um vor der Uni meinen Tagessatz zu schaffen. Die ersten 100 Wörter wollen nicht so richtig, dann geht es immer schneller und um sieben Uhr kann ich meinen Laptop zuklappen.  

50.000 Wörter, das sind etwa 300 Seiten in einem Taschenbuch. In meinem Fall sind diese Seiten gefüllt mit einer Reise um den halben Planeten. In der ersten Woche sitze ich motiviert da und lasse meine Figuren leiden. Ein Schiff geht unter, ein Plan misslingt, jemand wird verschleppt. Ich fröne der schönen Seite des Autorenlebens. Dann beginnt der Abstieg.  

Nach etwa neun Tagen geht mir der Wecker morgens auf die Nerven. Anstatt mich zu motivieren, ist das Geräusch einfach nur schrecklich. Meine Schreibgruppe auf WhatsApp wird dauerhaft stummgeschaltet. Ich will nicht mehr sehen, wie viel produktiver alle anderen sind. Nach zwölf Tagen möchte ich das Manuskript eigentlich nur noch löschen. Aus der Euphorie am Anfang werden Logikfehler und Schreibblockade.  

Nach 15 Tagen bin ich theoretisch zur Hälfte am Ziel. Aber wie soll das Dokument wachsen, wenn ich jedes zweite Wort direkt wieder löschen möchte? In der dritten Woche schreibe ich immerhin wieder täglich. Beim NaNoWriMo geht es nicht darum, ein perfektes Buch zu schreiben. Es geht darum, einfach mal zu machen. Um sich zu beweisen, dass man es kann. Das wird mir immer mehr klar. Der aufgestellte Plan, das geschriebene Buch bis Mitte nächsten Jahres zu veröffentlichen, ist schon lange hinfällig. Als ich am letzten Tag des Monats die 50.000 unten links in Word stehen sehe, atme ich durch. Dann schließe ich das Dokument.  

Das Buch ist noch lange nicht beendet. Es ist voller Rechtschreib- und Logikfehler und es ist sehr fragwürdig, ob man das überhaupt schon Buch nennen darf. Trotzdem bin ich stolz. Weil ich einer von vielen Menschen bin, der Geschichten erschafft. Weil ich Autorin bin. Auch wenn ich es nicht geschafft habe, in einem Monat ein vollwertiges Buch zu schreiben.  

Die Challenge und die Autorin  

Der National Novel Writing Month (Nationaler Roman-schreibe-Monat) findet seit 1999 einmal im Jahr statt. Autoren und Autorinnen weltweit können sich kostenlos auf der Webseite registrieren und mitschreiben. Zusätzlich werden mehrmals im Jahr Schreibcamps und in großen Städten auch Communitytreffen angeboten. Auf der Webseite können sich Autoren außerdem Tipps für das Veröffentlichen ihres Romans holen. 2017 wurden beim NaNoWriMo allein in Deutschland fast 90 Millionen Wörter geschrieben. Mehr dazu gibt’s auf https://nanowrimo.org.  

Michelle Janßen ist eine süddeutsche Schriftstellerin. Die Freiburger Germanistik-Studentin schreibt seit sie 14 Jahre alt ist Dramen und Romane. Ihr Debütdrama Das Mädchen und der Tod wurde 2017 veröffentlicht. Auf ihrem Blog https://buechnerwald.wordpress.com berichtet sie über die Themen Feminismus, Literaturwissenschaft und Privates.  

Foto: © Cedric Wojan