Zwischen Zollhof und Lokhalle: Das Güterbahnhof-Areal bekommt ein Gesicht SPECIALS | 17.07.2017

Steffen Große-Ruyken steht in der Sonne. Der Mitarbeiter von Hirtler Real Estate ist aus seinem Büro am Zollhallenplatz nach draußen getreten und zeigt auf eine unscheinbare Fläche neben einer Baugrube. „Da kommt er hin.“ Er – das ist das Bauprojekt, auf das am Güterbahnhof alle warten: der Solarturm des Freiburger Architekten Wolfgang Frey.

Seit Mitte Juni tut sich was auf dem Grundstück am Südzipfel des Güterbahnhof-Areals. Frey kündigt den offiziell Smart Green Tower benannten Neubau als den Leuchtturm an, den das 40 Hektar große Areal so dringend brauche. Denn von den alten Hallen und Gebäuden des Ende des 19. Jahrhunderts gebauten Güterbahnhofs ist nicht mehr viel übrig. Stattdessen gibt es an vielen Orten eher übliche Neubauten, Häuser mit viel Effizienz, aber weniger Charme. „Was fehlt, ist spannende Architektur“, findet Johannes Zeller.

Zeller ist Inhaber der Werbeagentur Quint. Auch wenn er es nicht mag, wenn man ihn „Werber“ nennt, weil das Wort nicht komplex genug erscheint. Die von Zeller und Ulrike Rossmann geschaffene Agentur war der erste neue Mieter auf dem alten Gelände. Sie sitzt mit ihrem knapp 40 Mitarbeiter starken Team im Alten Zollhof. Direkt neben der Baugrube und neben dem Immobilienbüro, auf dem außen Aurelis steht, in dem aber Steffen Große-Ruyken seine Arbeit tut. Als Partner von Aurelis, wie er sagt.

Anflug von Süd: 55 Fußballfelder fasst der alte Güterbahnhof. Das Bild zeigt, wie er mal war. Heute wachsen neue Projekte im Eiltempo, nach dem Auszug eines Gashändlers (links unten vor der Lokhalle) werden aktuell die letzten Weichen für eine Neubebauung im Westen gestellt.

Vor drei Jahren hatte Frey seine Idee von einem gut 50 Meter hohen Turm vorgestellt, der sich unter anderem über eine mit Solarpanelen bestückte Fassade komplett selbst mit Energie versorgen soll. Dann hat man lange Zeit nichts von dem Projekt gehört, außer hier und da mal eine Absichtserklärung, Planänderung oder eine Stellungnahme aus Politik oder Wirtschaft. Der Turm war kurz davor, zum Treppenwitz der Freiburger Bauwirtschaft zu werden. „Hast du schon gehört? Der Frey will einen Turm bauen!“ „Ja, ja – genau!“ Nun wird es tatsächlich passieren.

Der Freiburger Güterbahnhof ist ein Beispiel dafür, wie sich die Bürger gegen realitätsferne Pläne im Rathaus wehren. Denn eigentlich war geplant, den Bahnhof gegenüber dem Hauptbahnhof zu bauen – mitten im Stadtteil Stühlinger. Doch dagegen gab es damals schon massive Proteste aus der Bevölkerung. 120 Jahre ist es her, als die Südbadener schon wussten, was ein Wutbürger ist. „Nai hämmer gsait!“ – so oder so ähnlich schallte es damals durch die Stadt, was dazu führte, dass der Güterbahnhof nicht an den äußeren Rand der Innenstadt gepflanzt wurde, sondern in das damals noch unerschlossene Gebiet, aus dem dann der Stadtteil Brühl gewachsen ist.

Die Bauarbeiten dauerten von 1901 bis 1905. Im Ersten Weltkrieg wurde hier eine Art logistische Drehscheibe für Verwundete eingerichtet. Sie wurden vom Güterbahnhof aus auf die verschiedenen Lazarette in der Stadt verteilt. Im Zweiten Weltkrieg wurde auch der Güterbahnhof Ziel von Luftangriffen der Alliierten. Kurz vor Kriegsende gab es in vier Monaten sechs Bombenabwürfe – den letzten am 13. Februar 1945.

Den offiziellen Namen Güterbahnhof gab es dann erst seit den späten 1970er-Jahren. Und erst vor knapp drei Jahren verschwanden die Güterzüge von der Bildfläche. Zu diesem Zeitpunkt wurde aber bereits fleißig an der Zukunft des fast 60 Fußballfelder großen Areals gearbeitet.

Bereits 2001 hatte die Stadt einen Pakt mit der Deutschen Bahn geschlossen, der die Flächen seinerzeit noch gehörten. Der Betrieb auf dem Güterbahnhof war zu dieser Zeit bereits stark rückläufig. Noch im selben Jahr wurde der erste Bebauungsplan der neuen Ära im Gemeinderat beschlossen. Zwei Jahre später gingen die Flächen an die Immobilientochter der Deutschen Bahn – Aurelis. Sechs Jahre später – in der Zeitrechnung von Stadtplanern und Projektentwicklern kaum mehr als ein Wimpernschlag – begann mit der Sanierung der Zollhalle eine neue Epoche.

Die Lokhalle im Abendlicht: Bis 1983 wurden hier Züge gewartet – auch der Orient Express. Heute tummeln sich kreative Firmen in dem Kulturdenkmal.

„Die Stadt ist damals an uns herangetreten“, erinnert sich Quint-Chefin Ulrike Rossmann. Schaut man auf die, die heute da sind und vorher nicht da waren, gehört Quint fraglos zu den Pionieren. Freiburgs größte Werbeagentur saß zuvor in einem schmucklosen Zweckbau an der Basler Straße. Unverbauter Blick auf eine Tankstelle. Fast-Food-Restaurant und Discounter fußläufig erreichbar. Charme und Charakter? Fehlanzeige!

So gesehen ist der Plan von Quint aufgegangen. Die Zollhalle mit ihren Seitenflügeln ist einer von drei Zeugen aus der alten Zeit – neben der Kantina und der Lokhalle. Alles andere ist dem Plan von einem neuen Quartier rund um die Gleislandschaft gewichen. Bei dem, was erhalten wurde, waren die Denkmalschützer streng. Vorne am Zollhof prangt immer noch eine alte Holztür. Dahinter ein fester Kasten aus Glas als Klima- und Sicherheitsschleuse. Zeller rümpft seinen Bart. „Besonders gut isoliert ist es natürlich nicht – aber uns gefällt es trotzdem.“ Die hohen Decken und breiten Gänge sind nach heutigen Standards der Flächennutzung und Energieeffizienz kaum zu rechtfertigen. Die schöne Atmosphäre der hohen Hallen mit den gläsernen Wänden ist das, was Firmen brauchen, die über die Architektur und Bürowelten strahlen wollen.

Doch auf dem Areal müsse man außergewöhnliche Architektur mit der Lupe suchen, sagen Kritiker. Aber wie soll es in einer Großstadt, die zu wenig Fläche für ihre Einwohner hat, auch anders sein? Hier wird hoch gebaut, glatt und wirtschaftlich. Aurelis hat dieses Prinzip ausgereizt. Frey will mit seinem Smart Green Tower zumindest optisch einen Gegenpol setzen. Doch auch die von ihm finanzierte 50-Millionen-Euro-Investition muss sich am Ende des Tages rechnen. Darum ist der 16-stöckige Turm kein Solitär, sondern bekommt zwei Seitenflügel, einer mit fünf und einer mit sieben Etagen, 16 und 22,5 Meter hoch. Außerdem gibt es eine Garage mit 250 Stellplätzen. In den oberen Etagen entstehen 70 Ein- bis Vierzimmer-Wohnungen. Sie nehmen allein 4500 Quadratmeter Fläche ein. Die übrigen 3200 Quadratmeter im Turm sind für Büros und auch als Boarding-Unterkünfte gedacht. Auch die beiden Seitenflügel werden Büroblöcke.

Wenn in ein paar Jahren alles bebaut ist, dann sollen auf dem Areal etwa 2000 Menschen wohnen. Wie viele hier dann arbeiten werden, lässt sich seriös nicht sagen. Der Zollhof und die von den beiden Freiburger Projektentwicklern Lars Bargmann und Frank Böttinger revitalisierte Lokhalle mit dem geplanten Kreativpark sollen die Fixpunkte mit viel historischem Flair sein. Freys Hochhaus gilt als Leuchtturm. Den Güterbahnhof als Ganzes wünscht sich die Stadt Freiburg als Vorzeigebeispiel für eine sinnvolle und effiziente Neunutzung einer Brache mitten in der Stadt. Eine Milliardeninvestition im Herzen der City. Großstadt mit grünem Flair – ganz so, wie Freiburg sich am liebsten sieht.

Text: Philipp Peters

Auf Echs!

Ein Prosit auf die Reptilien

Freiburg hat seit jeher eine gestörte Liebesbeziehung zu bedrohten Arten. Natürlich will kein Freiburger je in Verdacht geraten, ihm seien Naturschutz, Artenvielfalt und ökologisches Gleichgewicht egal. Doch taucht die gefährdete Kreatur im eigenen Hinterhof auf, wird der Öko ganz schnell zum Nimby: „Not in my backyard“. Artenschutz ist ja ganz schön, aber muss es ausgerechnet da sein, wo meine neue Garage hin soll?

So gesehen hat die Mauereidechse viel mit dem Flüchtling gemein. Der ist auch den meisten aufgeklärten Menschen willkommen. Wenn aber Pläne für eine Unterkunft in der Nachbarschaft publik werden, wird sofort Zeter und Mordio geschrien. Da ist mein Häusle ja nur noch halb so viel wert!

Es gilt als gesichert, dass auch die meisten der geschätzt 300 Mauereidechsen am Güterbahnhof einen Migrationshintergrund haben. Die kleinen Reptilien sind in Südeuropa deutlich weiter verbreitet als im Süden Deutschlands. Heute findet man sie vor allem auf Güterbahnhöfen, wo sich die Echse in den Gleisbetten pudelwohl fühlt.

Für den Artenschutz wurde auf dem Areal ein fünf Hektar großer Grünstreifen eingezäunt. Auf dieser Fläche könnte man problemlos 144 im Schnitt 1,82 Meter große Fußballspieler im Wettkampfmodus artgerecht halten. Oder eben doppelt so viele Eidechsen, 25 Zentimeter lang. Der Zaun und seine Schilder sagen: „Weg da! Hier wohnen Eidechsen!“ Doch, nun ja, die Eidechsen verstehen gar keine deutschen Hinweisschilder, weil sie ja Migranten sind. Folglich kriechen und hängen sie überall rum. Es soll sogar Freiburger geben, die das freut.

Text: Philipp Peters

»Erfolgsgeschichte«

Die S-Immo hat auf dem Güterbahnhof schon 180 Wohnungen vermittelt

Der Güterbahnhof ist für Freiburgs Makler derzeit das Objekt der Begierde. Denn dort wurden und werden Wohnungen für bis zu 2500 Menschen gebaut. Die wollen auch vertrieben werden. Der größte Player bisher: die Immobiliengesellschaft der Freiburger Sparkasse.

60 Wohnungen in den beiden Stadtvillen des Karlsruher Investors Paul Heinze hat S-Immo-Mitarbeiter Nils Müller vermittelt, dazu die Hälfte von 90 Studenten-Apartments und gut 20 Einheiten für betreutes Wohnen. Für formart, jetzt Instone Real Estate, an der Eugen-Martin-Straße weitere 56 Wohnungen in den beiden Häusern, in denen unlängst Richtfest gefeiert wurde. Hier vermarktet Müller noch drei Gewerbe-Einheiten. Der Quadratmeter kostet netto 2500 Euro.

„Der Güterbahnhof war die letzten zwei Jahre der entscheidende Erfolgsfaktor für uns und damit das ideale Abschiedsgeschenk für meinen Vorgänger Thomas Schmidt“, sagt der neue S-Immo-Geschäftsführer Oliver Kamenisch. Er sei aktuell wieder mit zwei Bauträgern im Gespräch, die im zweiten Teilabschnitt bauen wollen. Da das Baudezernat dafür aber noch am Planungsrecht arbeitet, müsse man abwarten, ob die „Erfolgsgeschichte“ am Güterbahnhof weitergehe.

Text: bib

Areal mit Nahwärmeanschluss

Urbana auf dem Güterbahnhof

Die Badenova gab sich zögerlich, obwohl der Vertrag zwischen der Stadt Freiburg und der Güterbahnhof-Eignerin Aurelis Real Estate sie als Wärmelieferanten schon in Position gebracht hatte. Und so nahm der Hamburger Energiedienstleister Urbana das Risiko auf sich und baute auf dem Güterbahnhof ein Erdgas-Blockheizkraftwerk, dass das Quartier mit umweltschonender Fernwärme versorgt – optional auch mit Strom. Einige Gebäude sind bereits ans Netz angeschlossen, neue, aber auch alte wie die Lokhalle.

Mit dem Freiburger Projekt zeigt Urbana ein zukunftsfähiges Quartiersversorgungskonzept. Eine gute Wirtschaftlichkeit mit hoher Energieeffizienz und CO²-Reduzierungen zu vereinen, das hat Urbana schon in vielen Städten geschafft. Mehr als 100.000 Wohnungen werden heute von Urbana beliefert.

Text: bib