Arbeitsmarkt: Gespaltene Positionen zu einem Einwanderungsgesetz STADTGEPLAUDER | 26.03.2017

Trump würde vermutlich von „alternativen Fakten“ sprechen. Jahrelang hat die politische Elite Deutschlands die Mär verteidigt, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Die Realität sieht anders aus: Laut Statistischem Bundesamt hatten 2014 schon 16,39 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Allein 2013 kamen mehr als 1,2 Millionen Zuwanderer. 2015 lag der Ausländeranteil bei knapp zehn, in den USA zum gleichen Zeitpunkt bei sieben Prozent.

Das muss kein Nachteil für Deutschland sein. Christian Ramm, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Freiburg, sieht auch Chancen: „Wirtschaft und Arbeitsmarkt boomen. Wachstum und Wohlstand scheinen gesichert. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ziehen aber dunkle Wolken auf.“ Schon in wenigen Jahren fehlten wichtige Fachkräfte, wenn nicht aktiv etwas dagegen getan werde.

Etwa Voraussetzungen für eine gezielte Zuwanderung schaffen: „Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale ausschöpfen, hält das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einen positiven Wanderungssaldo von jährlich 400.000 Menschen bis zum Jahr 2050 für erforderlich, damit der aktuelle Beschäftigungsstand in Deutschland gehalten werden kann.“

Gezielte Zuwanderung? Tatsächlich geschieht Zuwanderung nach Deutschland – neben der Freizügigkeit innerhalb der EU – praktisch ausschließlich über Asylverfahren und durch Flüchtlinge. Das bedeutet, dass es kaum Einfluss gibt, wer kommt. Damit tauchen Sprachprobleme auf, sind Berufsausbildungen mangelhaft, nicht kompatibel oder gar nicht vorhanden.

Sprung in ein besseres Leben: Braucht Deutschland 400.000 Zuwanderer jährlich?

Sprung in ein besseres Leben: Braucht Deutschland 400.000 Zuwanderer jährlich?

Unternehmer wie Verbände gehen davon aus, dass es mindestens zwei bis sieben Jahre dauert, bis die Zugewanderten in den Arbeitsprozess eingegliedert sind. Wenn es sich nicht, wie Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, düster meint, in vielen Fällen einfach nur um Zuwanderung in die Sozialsysteme handelt.

Andreas Kempff, der Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, spricht aus, was viele Unternehmer in der Region fordern: „Die Industrie- und Handelskammern haben die Gefahren des demografischen Wandels für die Wirtschaft früh erkannt und sich für ein Gesetz starkgemacht, mit dem die Zuwanderung im Interesse des Landes gesteuert wird.“ Bereits vor 16 Jahren bilanzierte die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“: „Deutschland braucht dauerhafte und befristete Zuwanderung für den Arbeitsmarkt – wie andere Länder auch.“

Doch trotz wiederholter Warnungen aus Wirtschaft und Wissenschaft hat die Politik entweder die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder nicht den Mut gehabt, das Thema anzupacken. Besonders kurzsichtige Politiker haben sich lieber mit dem Spruch „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ bei ihren Wählern profiliert. Hätte die Politik das Thema frühzeitig in Angriff genommen, hätte der Fachkräftemangel nicht das heutige Niveau erreicht und es wäre mehr Zeit für die Integration der Zuwanderer da gewesen.

Erst jetzt entdecken die Parteien das Thema für sich. Und sind uneins. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schuster, einer der profiliertesten Innenpolitiker der Nation, sieht weiterhin keine Notwendigkeit, etwas zu tun: „Schon vor der Flüchtlingskrise war Deutschland Einwanderungsland Nummer 2, gleich nach den USA. Das ist für mich das beste Zeichen, dass wir vieles richtig machen. Wir werden daher weder die Regeln verschärfen noch ausweiten.“ Allenfalls die vielen Einzelregelungen – etwa wie die Blaue Karte EU – und Gesetze in einem Einwanderungsgesetz zusammenfassen.

Über die Blaue Karte wandern indes nur wenige ein – 2015 war von 14.000 möglichen Plätzen nur ein Drittel vergeben, denn die Bewerber müssen ein jährliches Mindesteinkommen von 48.400 Euro nachweisen, oder 37.752 Euro in Berufen, in denen aktuell Arbeitskräfte fehlen. Der Hauptstrom der Zuwanderung kommt aus der Flüchtlingswelle.

Christa Porten-Wollersheim vom Verband deutscher Unternehmerinnen fordert „schnelle Asylverfahren, um rasch Klarheit über die Bleibeperspektive der Betroffenen zu gewinnen“, zudem müssten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine rasche Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge verbessert werden.

Die SPD favorisiert ein an der kanadischen Einwanderungspraxis orientiertes „Punktesystem“. Punkte gibt es für Qualifikation, Sprachkenntnisse, Alter – und für ein konkretes Arbeitsangebot. Uni-Absolventen brauchen 65 von 100 Punkten, Facharbeiter 60 – dann steht man auf der Bewerberliste. Asylbewerber bleiben, so die SPD, jedoch ausgeklammert, ein Asylantrag kann nicht zum Einwanderungsantrag werden.

Während die CDU nicht recht weiß, was sie genau will, sprechen sich SPD und FDP für das Kanada-Modell aus und die Grünen lassen erkennen, dass sie damit leben könnten. Die Linke lehnt das System indes als „selektiv“ ab.

Eine Punkteregelung würde aber eine Obergrenze zur Folge haben, die für Arbeitsmigranten jährlich neu festgelegt werden müsste. Diese könnte, so Thomas Oppermann, Fraktionschef der SPD, der Bundestag „in einer offenen Diskussion beschließen.“ Aber: „Zuwanderungsobergrenzen, egal in welcher Ausgestaltung, sind bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ein ‚no go‘.“

Das mussten auch Armin Schuster und sein CSU-Kollege Stephan Mayer erfahren. Sie haben einen Kompromissvorschlag zur Obergrenze erarbeitet, der keine starre Zahl von 200.000 vorsieht, sondern ein „atmendes System“. Durch jährlich angepasste Richtwerte soll so die aktuelle Lage und Leistungsfähigkeit des Landes berücksichtigt werden. Die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit von Flüchtlingen hänge von sich ständig verändernden Faktoren ab, etwa der Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes oder auch der Behördenauslastung. Ein durch eine unabhängige Kommission regelmäßig zu bestimmender atmender Richtwert wäre „ein Signal an andere EU-Länder, die sich bisher zu wenig solidarisch zeigen.“

Text: Stefan Pawellek / Illustration: © istockphoto.com/erhui1979 / Collage: © bib

Kommentar von Stefan Pawellek

Gegen die Menschenhändler

Deutschland sei kein Zuwanderungsland, so lautet eine längst widerlegte Behauptung vieler Politiker. Dabei müsste ihnen angesichts der Tatsache, dass viele Asylbewerber auch Wirtschaftsflüchtlinge sind – mithin keinen echten Asylgrund haben – schon lange dämmern, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und gesellschaftlichen Stabilität ein attraktives Land zum Leben ist.

Demografische Entwicklung und die Tendenz zur Universität statt zur Lehrstelle rufen in der Bundesrepublik einen Nachwuchs- und Fachkräftemangel hervor. Spätestens jetzt sollte die Politik begreifen, dass man aus der Not eine Tugend machen kann: Wer Sprachkenntnisse mitbringt, über eine Schul- oder sogar Berufsausbildung verfügt, ja vielleicht vereinzelt schon Kontakte in die bundesdeutsche Wirtschaft geknüpft hat, hat gute Aussichten, hier schnell sozial und beruflich integriert zu sein und ist willkommen.

Wer hier von Selektion spricht, der irrt, möglicherweise sogar böswillig. Denn wenn es ganz klare Regeln für eine Zuwanderung gibt, bricht Schleppern und Menschenhändlern ein Großteil ihres schmutzigen Geschäftes weg. Wer ein besseres Leben bei uns will, muss dieses dann nicht mit einer Schwindelei beginnen. Und nur jene, die politisch, religiös oder anders verfolgt sind, die in Kriegsgebieten leben und unseren Schutz verdienen, kommen als Asylbewerber oder Flüchtlinge zu uns.

Ein Einwanderungsgesetz würde angesichts der aktuellen Weltlage für Deutschland einiges verbessern und manch menschliches Drama verhindern.