"Der Himmel wird warten": Auch Mädchen werden zum Ziel islamistischer Propaganda Kinonews | 22.03.2017

Ein Film zwischen Dokumenta­tion und Fiktion: Marie-Castille Mention-Schaar hat als Hauptfiguren für ihre neue Produktion außer den sehr realitätsnah agierenden jungen Schauspielerinnen Noémie Merlant und Naomi Amarger auch eine Darstellerin gefunden, deren Rolle keine Rolle ist, sondern Beruf: Die Therapeutin Dounia Bouzar.

Sie ist Mitbegründerin des von der französischen Regierung ins Leben gerufenen Zentrums zur Prävention gegen sektiererische islamistische Einflüsse (CPDSI*). Diese Institution will jungen Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – einer islamistischen Organisation angeschlossen haben, über schrittweise Entradikalisierung und individuelle Betreuung einen Rückweg in die Zivilgesellschaft, in ihre Familien ermöglichen.

Und mit einer fiktiven Familien­sprechstunde bei der realen Therapeutin beginnt denn auch der Film: Hilflos sitzen da gut situierte Mütter und Väter, die allesamt den Albtraum erlebten, dass ihre Kinder ihnen allmählich abhanden kamen – und irgendwann nicht mehr erreichbar waren. Die aus allen Wolken fielen, als sie erkannten, dass es eine Illusion war, zu glauben, dass es sich dabei um einen normalen pubertären Ablösungsprozess handle. Und die sich allesamt den Vorwurf machen, etwas übersehen, sich mit ihren Kindern nicht genug auseinandergesetzt zu haben.

Mit in der verzweifelten Elternrunde: Sylvie (Clotilde Coureau), die entschlossen ist, nach ihrer in Syrien untergetauchten Tochter Mélanie zu suchen. Und Catherine (Sandrine Bonnaire), deren Tochter Sonia eines Nachts wegen der Beteiligung an einem geplanten Anschlag verhaftet wurde. Die beiden Mädchen wurden, wie in den folgenden Rückblenden zu sehen ist, Opfer von subtilen, genau auf sie zugeschnittenen Anwerbemanövern: Über verschiedene Internet-Portale hat­ten sich junge Männer an sie herangemacht und sich, geschickt auf ihre Ge­fühls­lage eingehend, ihr Vertrauen erschlichen. Und ihre Liebe.

Denn Mélanie ist blind vor Liebe, als sie sich von ihrer stets verständnisvollen Mutter, ihren vielen Freunden, ihrem schulischen und sozialen Engagement und ihrer Musik lossagt, um einem Unbekannten nach Syrien zu folgen. Und Sonia ist so verliebt, dass sie ihrem virtuellen „Freund“ auch glaubt, dass sie ihre Familie trotz des Sündenfalls ihres zwar muslimischen, aber nicht praktizierenden Vaters durch ihr persönliches Opfer für das Paradies retten kann.

Ein wichtiger Film, der fast nebenbei, aber doch sehr eindrücklich zeigt, dass Propaganda auch in der Mitte der Gesellschaft wirkt. Und wie schwer der Weg zurück ist. Denn Fanatismus, sagt Dounia Bouzar, ist „wie eine Sucht“.

* Centre de prévention des dérives sectaires liées à l‘Islam

Text: Erika Weisser / Fotos: © Neue Visionen

Plakat_Himmel

Der Himmel wird warten
Frankreich 2016
Regie: Marie-Castille Mention-Schaar
Mit: Noémie Merlant, Naomi Amarger, Dounia Bouzar u. a.
Verleih: Neue Visionen
Laufzeit: 105 Minuten
Start: 23.3.2017
Trailer: