Prunk und Brösel: Streifzug durch Kasachstan Reise-Special | 10.01.2017 | Till Neumann

Viele kennen Kasachstan als Landebahn für russische Raketen. Auch chilli-Redakteur Till Neumann ist im Oktober dort gelandet. Im neuntgrößten Land der Erde besuchte er die alte Hauptstadt Almaty und deren pompöse Nachfolgerin Astana. Die erwartet kommendes Jahr mehrere Millionen Gäste zur Expo. Der kasachische Lionel Messi ist schon dort.

500_flamme

Feurig: In der alten Hauptstadt Almaty lodert eine ewige Flamme.

In knapp sechs Stunden ist man vom Frankfurter Flughafen in Astana. Die Staatsairline Air Astana lässt es glänzen: noble Sitze, noble Beleuchtung, noble Technik. Die perfekte Vorbereitung für Kasachstans neue Hauptstadt Astana. Seit 1997 schlägt dort das Herz der Präsidialrepublik. Staatschef Nursultan Nasarbajew hat sie auf Hochglanz polieren lassen. Rund um seinen Präsidentenpalast wähnt man sich in Dubai: Goldene Büro­türme recken sich in die Luft, riesige Leuchtschilder mit „I Love Astana“ schillern im Dunkel, und eine schmucke Parkallee führt zum Wahrzeichen der Stadt: Bajterek – ein Turm mit goldenem Ei auf der Spitze.

Damit hat sich Nasarbajew 1997 ein Denkmal bauen lassen. Wie eine Fackel streckt sich der Bau 105 Meter in den Himmel. Die goldene Kugel auf der Spitze symbolisiert ein Ei des Glücksvogels. Im Inneren ist kein Eigelb, sondern eine Aussichtsplattform. Für ein paar Tenge (ein Euro sind 360 Tenge) kommt man nach oben. Der Rundumblick ist beeindruckend – quasi das Pendant zur Berliner Reichstagskuppel. Mit feinem Unterschied: Im Bajterek kann man die Hand in einen goldenen Händeabdruck Nasarbajews legen. So hat man einen Wunsch frei.

Präsident Nasarbajew ist seit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion an der Macht. 1994 wurde das asiatische Land unabhängig. Anfangs war Almaty Hauptstadt des Landes, im viel wärmeren Süden des Landes gelegen. Noch heute ist Almaty die größte Stadt Kasachstans: 1,7 Millionen Menschen leben dort. Auch kulturell ist Almaty spitze, in Astana sei wenig los, berichten junge Menschen. Kurz mal für eine Party rüberjetten ist nicht drin: Rund 1000 Kilometer liegen zwischen der alten und der neuen Hauptstadt. Etwa 20 Stunden braucht man dafür mit dem Zug.

Die Reise auf Gleisen ist eine durch die Zeit: Die weinroten Schlafpritschen wirken wie aus einem anderen Jahrhundert. Altbacken, aber stabil. Aus einem kleinen Holzofen gibt’s heißes Wasser, aufs Klo sollte man aber lieber nicht. Im solide ratternden Zug fühlt man sich wie in Sowjetzeiten. „Der perfekte Spot für den nächsten James Bond“, schwärmt ein deutscher Begleiter.

Am Bahnhof in Astana

Eiskalt: Schneetreiben am Bahnhof in Astana. Im Süden ist es dafür deutlich wärmer.

Der Blick aus dem Fenster ist eintönig: Steppe, Steppe, Steppe. In dem Land, das sogar neben China nicht klein aussieht, leben nur 17 Millionen Einwohner. Doch in der Weite liegen Schätze: Knapp zwei Prozent der globalen Erdölreserven sollen dort schlummern. Ein einträgliches Geschäft, das den Prunk Astanas erklärt.

In Almaty kann man die Wintersachen wegpacken. In Astana froren wir bei Minusgraden, Schnee und stechendem Wind. Hier lacht die Herbstsonne. 15 Grad.  Nicht nur klimatisch ist das einladend: Auf breiten Straßen reihen sich Geschäfte aneinander. Viele der riesigen braun-bröseligen Gebäude sind in die Jahre gekommen – teilweise erzählt nur das Erdgeschoss die Geschichte der Moderne: Boutiquen mit knallbunten Reklamen reihen sich aneinander. Auf einer steht: „Deutsche Mode“. Auf einer anderen: „Luxus“.

Die meisten Kasachen sprechen Russisch, Kasachisch spielt kaum eine Rolle. Hin und wieder trifft man auch Deutschlandkenner. An einem Gemüsestand zum Beispiel: „Ah, Sie sind deutsch, woher kommen Sie“, will ein Kasache fast akzentfrei wissen. Zum Tag der europäischen Sprachen am 16. Oktober gibt’s Maßkrugstemmen in einem Club. Schüler singen Karaoke zu „Einmal um die Welt“ von Panda-Rapper Cro. Viele Besucher sprechen Englisch oder Französisch. Das ist in Kasachstan die Ausnahme. In den Geschäften verständigen wir uns mit Händen und Füßen. Verkäufer verstehen meist mit Müh und Not „One“ oder „Two“. Herzlich und zuvorkommend wird man trotzdem bedient.

Almaty ist berühmt für seine Äpfel. Als Vegetarier ist man in Kasachstan dennoch Exot. „Wie willst du ohne Fleisch durch den Winter kommen?“, fragen sie. Vegetarier gibt’s quasi nicht. Nach längerer Suche finde ich eine, die zumindest jemanden kennt, der Vegetarier ist. Fragt man nach der Spezialität des Landes, heißt es meist: Pferdefleisch. Auch Teigtaschen und Suppen sind beliebt, zum Beispiel „Lagman“ mit Gemüse, Nudeln und eben Fleisch. Auch das kasachische Bier ist genießbar.

Der Bajterek-Turm ist das Wahrzeichen Astanas

Der Bajterek-Turm ist Wahrzeichen Astanas. In seinem Inneren ist eine Aussichtsplattform.

Bei Sonnenschein kann man durch den „Park der 28 Panfilowzy“ schlendern. Dort steht die hübsche Christi-Himmelfahrt-Kathedrale. Und als Erinnerung zum Sieg über das Deutsche Reich brennt eine ewig Flamme. Im schicken Einkaufsviertel der Stadt hat der Westen Einzug gehalten. Es gibt Starbucks, Prada und Burger King.

Auch für Wintersportler ist Almaty verlockend: Von der Stadt aus blickt man auf verschneite Bergkuppen. Der höchste Gipfel erreicht 5000 Meter. Für einen Berg-Trip fehlt leider die Zeit, ein Grund mehr, wiederzukommen.

Zum Abschluss geht’s erneut nach Astana. Dort wird fleißig gebaut. Im Juni startet die Expo 2017. Der Erdölstaat hat „Future Energy“ als Motto gewählt. Passend dazu sind breite Rad- und Laufwege angelegt. Ende Oktober sind die jedoch gähnend leer. Das mag an der Eiseskälte liegen. Oder daran, dass Taxis recht bezahlbar sind. Ein paar Bauarbeiter wissen jedenfalls, wie sie sich warmhalten: In einem der vielen Parks spielen sie Fußball. Einer trägt ein orangenes Messi-Trikot.

Fünf Millionen Besucher werden zur Expo erwartet. So mancher wird sich die Augen reiben beim Anblick Astanas: Das Dubai der Steppe schillert farbenprächtig. Bei Sonnenschein sicher noch mehr als im grauen Oktober.

Astana heißt übersetzt Hauptstadt. So einfallslos der Name, so extrem die Architektur – und das Wetter. Im Winter geht’s bis minus 40 Grad, im Sommer auch mal bis plus 40. Da könnte es selbst Borat in seinem Höschen zu heiß werden.

Fotos: © Till Neumann & Felix Neumann