„Labor Europas“: wie stark Deutschland Straßburg verändert hat STADTGEPLAUDER | 19.02.2018 | Clémence Carayol

Wie deutsch ist Straßburg? Das Straßburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst geht dieser Frage derzeit auf den Grund. Es zeigt die Übergangszeit von 1870 bis 1930 der mal deutschen, mal französischen Stadt. Kunst, Urbanismus und Wissenschaften wurden von Deutschland nachhaltig geprägt, unterstreicht die Ausstellung „Labor Europas: Straßburg, 1880-1930“.

Die Sonderausstellung hat zahlreiche Museen in der Stadt mobilisiert: das zoologische Museum, das Kunstgewerbemuseum und die Galerie Heitz. Die Kernausstellung befindet sich jedoch im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Warum geht es um die Zeitspanne von 1880 bis 1930? Ein Schritt zurück ist notwendig, um das zu verstehen.  

Im Jahr 1870 herrscht Krieg zwischen Deutschland und Frankreich. Das französische Straßburg wird dabei bombardiert, die Bibliothek und das Musée des Beaux-Arts sind zerstört. Schon 1871 unterzeichnen Deutschland und Frankreich den „Frieden von Frankfurt“. Das Elsass und Teile Lothringens fallen an Deutschland. Straßburg wird zur Hauptstadt des Reichlands Elsass-Lothringen. Es geht nun darum, kulturelle Institutionen schnell wieder aufzupeppeln. Die Stadt soll zum Schaufenster kulturellen Lebens des deutschen Imperiums werden. Wilhelm Bode baut die Straßburger Kunstsammlung in außergewöhnlicher Weise wieder auf. Er bringt unter anderem Giotto, Raphael, Tintoret im Museum zusammen.  

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts studierten die viele Künstler wie Charles Lucien Blumer an der Kunstgewerbeschule Straßburgs. Sie wurde im Jahr 1890 geschaffen – unter deutscher Regie. Der im Museum präsentierte Jugendstil zeugt von diesem kulturellen Austausch und dem einzigartigen Wandel Straßburgs.  

Die berühmte Groupe de Mai (Maigruppe) wird 1919 von dem Maler Paul Welsch und zahlreichen anderen elsässischen Künstlern gebildet. Charles Spindler, abwechselnd Französisch und Deutsch, wird derselben Dynamik folgen und schafft die Illustrierte Elsässische Rundschau, dank der man die zahlreichen Jugendstil-Plakate noch heute bewundern kann.  

Die Ausstellung widmet sich auch der Wissenschaft. Die Historiker Lucien Febvre und Marc Bloch haben Ende der 2034 Jahre einen neuen Kreis von Historikern gebildet: die Annales-Schule. Sie ist noch heute die Wichtigste ihrer Zeit. Dokumente der Schule kann man im dritten Raum der Ausstellung in Vitrinen sehen.  

Auch die „Neustadt“ wird errichtet. Dieses Viertel Straßburgs besteht aus dem heutigen Orangerie-Park, dem Contades-Park, dem zoologischen Garten und der Place de la République (Kaiserplatz). Die deutsche Stadtplanung hat damit einige der bedeutendsten Institutionen Straßburgs konzipiert. Auch die Universität wird während der deutschen Zeit wieder aufgebaut, der Campus ist eine Stadt in der Stadt geworden.  

Diese Bauten, die Straßburg bis heute prägen, können die Elsässer nicht gleichgültig lassen. Anne-Marie, eine ehemalige Deutschlehrerin, schlendert durch die Ausstellung und ist bewegt: „Als ich noch ein Kind war, in den 60er Jahren, war es nahezu verboten, deutsche Theaterstucke zu schauen oder deutsche Musik zu hören.“ Doch jetzt seien diese beiden wieder vereint.  

Die 70-Jährige bewundert die illustrierten Plakate Charles Spindlers: „Da kann man den Einfluss Deutschlands richtig spüren, als die Künstler sich von beiden Kulturen ernährten.“ Als Anne-Marie noch ein Kind war, hatte sie den Eindruck, eine ihrer Kulturen zu verraten, wenn sie eine Sprache oder die andere sprach. Daher wollte sie Franzosen Deutsch beibringen: „Ich wollte eine Brücke zwischen meinen beiden Kulturen werden“, sagt die Dame.  

Sie steht damit auch persönlich für die bewegte Geschichte Straßburgs – eine echte Kaleidoskop-Stadt, die nahezu schicksalhaft an der Kreuzung zweier Geschichten steht. Das zeigt diese umfassende Ausstellung eindrücklich. Allein die Masse der Exponate birgt die Gefahr, sich als Besucher darin zu verlieren.  

Labor Europas Labor Europas: Straßburg, 1880-1930 Museum für moderne und zeitgenössische Kunst 1 place Hans Jean Arp – 67000 Strasbourg 23. September 2017 / 25. Februar 2018 Geöffnet täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr. Montags geschlossen.  

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