Lebensmittel per Knopfdruck: Händler im Spagat zwischen Regionalität & Digitalisierung STADTGEPLAUDER | 12.06.2017

Hat der klassische Supermarkt ausgedient? Anfang Mai ist der Onlineriese Amazon mit seinem Lebensmittel-Lieferservice in Deutschland an den Start gegangen. Nun fürchten viele Einzelhändler die neue Online-Konkurrenz. Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbands der Insolvenzverwalter in Deutschland, sieht sogar eine Pleitewelle auf die Händler zurollen. In Freiburg gibt man sich da gelassener: Regionalität sei den Kunden wichtiger als das bequeme Bestellen per Knopfdruck, ist sich Edeka-Marktleiter Ronald Danner sicher. Doch einige Anbieter schaffen genau diesen Spagat – wie das in Freiburg etablierte „Gemüse im Abo“ oder die neu gegründeten Marktschwärmer.

In Ursula Weigmanns Gemüsekisten gibt’s heute frische Erdbeeren aus Sexau.

„Hier packen wir statt der Mango Orangen rein, und in diese Kiste kommt noch ein Kilo Äpfel dazu.“ Ursula Weigmann lässt das Obst in die grünen Kisten wandern, legt den Bestellzettel drauf und schon sind die Boxen fertig zum Transport. Dreimal pro Woche packen sie und ihre Mitarbeiterinnen in der Lagerhalle im Gundelfinger Industriegebiet die Gemüse-im-Abo-Boxen. Rund 1000 Kisten werden von hier aus jede Woche den Kunden nach Hause geliefert – im Stadtgebiet per Fahrrad, in den Umlandgemeinden oder den höher gelegenen Stadtteilen mit dem Auto.

Seit 21 Jahren bietet die 48-Jährige auf Bestellung Obst und Gemüse aus der Region. Anfangs telefonisch, mittlerweile online. Nach und nach hat sich die einstige Gemüsekiste zum Rund-um-Paket mit Milch, Eiern, Mehl oder Bio-Zitrusfrüchten aus Andalusien gemausert. Die Kunden nehmen das gerne an: Bis zu zehn neue Besteller pro Woche hat Weigmann. Ihr wöchentlicher Umsatz beträgt mittlerweile rund 20.000 Euro.

Den regulären Supermärkten wird sie damit nicht gefährlich. Die Lebensmittelbranche fährt einen jährlichen Umsatz von 170 Milliarden Euro ein – nicht einmal ein Prozent davon entfallen auf den Online-Handel. Doch der Anteil wächst stetig: Für 2025 rechnen die Marktforscher von GfK mit einer Steigerung um das Siebenfache. Der Start von „Amazon Fresh“ könnte das noch beschleunigen. Zwar können momentan nur Kunden in Berlin und Potsdam bestellen, doch schon bald dürfte der weltgrößte Online-Händler auch in andere Städte vordringen. Insolvenzverwalter Niering warnt vor zahlreichen Insolvenzen und den Verlust tausender Arbeitsplätze, die die Expansion mit sich bringen könnte.

Ronald Danner, der mit seinem Sohn die Freiburger Edeka-Märkte in Betzenhausen und Herdern betreibt, sieht das gelassen: „Es haben schon viele versucht, sich mit dem Online-Handel von Lebensmitteln durchzusetzen, geschafft hat es noch keiner.“ Der Kunde wolle die Frischware sehen, ist sich der Händler sicher. Dabei bietet auch er einen Lieferservice an. Statt online zu bestellen, können die Kunden direkt im Markt oder telefonisch bestellen – ihre Einkäufe werden dann per Lastenrad geliefert. „Es gibt so viele Fragen, die man persönlich klären muss“, sagt Danner, „das fängt schon beim simplen ‚Am Stück oder geschnitten?’ an.“

Die Marktschwärmerinnen Barbara Schneider (li.) und Lisa Soravia (re.)

Bequem online bestellen und trotzdem den persönlichen Kontakt halten: Genau diesen Spagat wollen die Marktschwärmer schaffen. Die in Frankreich entwickelte Idee ist am 11. Mai auch in Freiburg an den Start gegangen. In einer Art Internet-Hofladen bestellen die Kunden Obst, Gemüse, Wein, Brot & Co. bei Erzeugern aus der Region. Die brauchen sich nicht mehr auf dem Bauernmarkt die Füße platt stehen und auch nicht – wie beim klassischen Online-Shop – die Waren bis vor die Haustür liefern. Stattdessen treffen sich Landwirte und Käufer einmal die Woche nach Feierabend in der Marktschwärmerei. Wie genau das funktioniert, erklären die Freiburger Marktschwärmer Barbara Schneider und Lisa Magdalena Soravia hier.

Text: Tanja Bruckert, Foto: tbr, Marktschwärmer